Der Rote Mond Von Kaikoura
sie die Unwahrheit sprechen, denn in dem Augenblick, als das Gerüst unter mir weggebrochen ist, dachte ich schon, es sei aus mit mir. Aber dann wurde ich gerettet, und es hat sich wieder einmal bewahrheitet, dass Unkraut nicht so schnell vergeht.«
»Immerhin scheinen Sie Ihren Humor behalten zu haben, das ist gut. Wenn ich irgendwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich bitte wissen.«
»Das werde ich, allerdings bin ich hier bei meiner Enkelin in den besten Händen. Sie mag gar nicht von meiner Bettkante weichen, obwohl sie doch ein wenig Ruhe und Freude verdient hätte.«
Als Ravenfield sie ansah, senkte Lillian den Blick. Großvater, dachte sie, du wolltest doch nichts sagen!
»Das Verhalten Ihrer Enkelin ist wirklich lobenswert«, erwiderte der Schafzüchter schließlich. »Vielleicht habe ich etwas für sie, das sie ein wenig aufmuntert.« Ravenfields Augen leuchteten plötzlich vor Eifer. »Ich habe vor, in den nächsten Wochen einmal nach Christchurch zu fahren, um dort ein paar Dinge einzukaufen. Vielleicht möchten Sie mich begleiten? Natürlich nur, wenn es Ihrem Großvater besser geht und Sie eine Anstandsdame haben, die mitkommen kann.«
Lillian schnappte nach Luft, als sie erkannte, dass er wahrscheinlich nur deswegen hergekommen war.
»Was sagen Sie dazu?« Abwartend blickte Ravenfield zwischen Lillian und ihrem Großvater hin und her.
»Nun, was mich angeht, hätte ich nichts dagegen, wenn Lillian Sie begleiten würde«, sagte Georg nach einer Weile. »Allerdings sollten wir die Entscheidung meiner Enkelin überlassen.«
Während er sie ansah, hob er aufmunternd die Augenbrauen. Lillian aber wünschte sich insgeheim, er hätte Nein gesagt. Noch vor ein paar Wochen hätte ihr Herz vor lauter Vorfreude gerast, doch mittlerweile fragte sie sich, ob es gut wäre, mit Ravenfield irgendwo hinzufahren. Doch vielleicht fand sie wirklich jemanden, der die Anstandsdame spielte …
»In Christchurch habe ich übrigens eine Bekannte, die sich ebenso wie Sie für die Wissenschaften interessiert. Die Dame ist zwar eher Naturkundlerin, aber sie besitzt den gleichen Enthusiasmus wie Sie. Außerdem würde ich der Sternwarte gern ein paar Gerätschaften spendieren.« Jetzt blickte er zu Georg, der überrascht die Augenbrauen hochzog. »Wenn Sie mir eine Liste mit dem, was Sie noch brauchen, geben könnten, würde ich es in Christchurch bestellen, ich kenne da einen Händler.«
»Nun … da wäre vielleicht etwas, was Sie für mich besorgen könnten«, antwortete Georg, der, wie Lillian wusste, nie geneigt war, ein Geschenk auszuschlagen, wenn es seinen Forschungen diente. »Allerdings möchte ich betonen, dass Sie mit der Bereitschaft, Ihr Land zu tauschen und uns zur Verfügung zu stellen, schon mehr als genug getan haben.«
Ravenfield winkte ab. »Man kann nie genug für die Wissenschaft tun.«
»Nun, wenn Sie das so sehen … Lillian, bring mir doch bitte mal die Feder und etwas Papier.«
Als seine Enkelin mit dem Gewünschten zurückkehrte, schrieb er ein paar Dinge auf, unter anderem Linsen und ein Okular sowie Ersatzteile für das Teleskop, das bereits vor der Abreise schadhaft gewesen war, das Georg aber unter keinen Umständen hatte zurücklassen wollen.
»Es sind nur paar Kleinigkeiten, die allerdings sehr wichtig sind«, erklärte er, als er das Blatt an Ravenfield weiterreichte.
Ein freudiges Strahlen huschte über Jasons Gesicht. »Ich werde alles besorgen, was Sie brauchen.« Damit wandte er sich an Lillian. »Also, geben Sie mir Bescheid, wann es für Sie passt?«
22
Die Wochen vergingen. Während auf der Baustelle daran gearbeitet wurde, die Kuppel zu befestigen, kam auch Georg langsam wieder auf die Beine. Dr. Corben wechselte schließlich seinen Gips und erlaubte ihm, täglich ein paar Schritte auf Krücken zu machen. Das besserte seine Stimmung merklich, und schon bald machte er sich Hoffnungen, wieder zur Sternwarte reiten zu können.
Zwischendurch stattete ihnen Samantha, die natürlich von dem Unfall gehört hatte, einen Besuch ab. Unter dem Arm hatte sie einen Korb mit Waren aus dem Laden ihres Vaters, den sie mit den besten Empfehlungen ihrer Eltern abgab. Lillian überkam dabei ein ziemlich schlechtes Gewissen, denn bei den vielen Dingen, die sie zu erledigen hatte, war sie nicht ein einziges Mal dazu kommen, Samantha und ihre Eltern zu besuchen.
»Mach dir nichts draus«, beruhigte Samantha sie. »Du hast im Moment Wichtigeres zu tun, als auf Teegesellschaften herumzusitzen.
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