Der Rote Mond Von Kaikoura
besonders anmutige Art, sich zu bewegen; kein Wunder, dass sogar Lillians Großvater angesichts von so viel Weiblichkeit weich geworden war.
Nachdem sie einen Moment unschlüssig am Küchentisch gestanden hatte, sagte Lillian: »Ich werde nachsehen, ob er wach ist, und dann mache ich uns allen einen Kaffee. Nehmen Sie doch solange Platz.«
Mrs Blake lächelte freundlich, als sie sich auf einem der Küchenstühle niederließ. Bevor Lillian in dem Gang verschwand, musterte sie die Frau noch einmal. Was mochte ihr Großvater mit ihr zu tun haben?
Nun, sie würde es gleich erfahren.
Georg saß in seinem Bett, die Nase in einem seiner Bücher, deren Ledereinbände vom vielen Aufschlagen und Festhalten wie Speckschwarten glänzten.
»Ist die Post gekommen?«, fragte er und blickte auf.
»Nein, du hast Besuch.«
Georgs Augenbrauen schnellten in die Höhe. »Besuch? Ist es Mr Arana?«
»Nein, es ist eine Frau. Mrs Blake, die Inhaberin der kleinen Teestube auf der Main Street.« Zum ersten Mal, solange sie sich erinnern konnte, sah Lillian ihren Großvater erröten. »Offenbar kennst du die Dame, sie hat das jedenfalls angedeutet.«
»Ja, ich kenne sie«, gab er zu. »Ich war einige Male in ihrer Teestube, und wir haben uns sehr nett unterhalten.«
Die Miene, die er dabei zog, sprach Bände. Einerseits wirkte er ein wenig peinlich berührt, andererseits war sein Blick voller Freude.
»Möchtest du sie sehen oder soll ich sie wieder wegschicken?«
»Nein, nein, lass sie ruhig, schick sie rein. Ich erkläre dir nachher, was es mit ihr auf sich hat.«
Mit einem Lächeln schüttelte Lillian seine Kissen auf, nahm die Bücher von der Bettdecke und glättete diese anschließend. »Soll ich dir auch noch die Haare kämmen?«, fragte sie ein wenig spöttisch, worauf ihr Großvater fahrig nach seinen Haaren griff und dann auch noch den Bart glättete.
»Nein, nein, alles in Ordnung. Als Kranker darf man ruhig ein wenig zerzaust aussehen, sonst wird man womöglich noch für einen Simulanten gehalten.«
Als Lillian in die Küche zurückkehrte, erhob sich Mrs Blake. »Wenn es ungelegen ist, komme ich gern ein anderes Mal wieder.«
»Nein, kommen Sie ruhig, mein Großvater freut sich, dass Sie da sind.«
Lillian führte Mrs Blake durch den Gang zum Zimmer ihres Großvaters. Als sie ihm die Besucherin ankündigte, trat ein Leuchten in seinen Blick. Mrs Blake trat an sein Bett und reichte ihm die Hand. Obwohl er sich kaum aufrichten konnte, ließ es sich Georg nicht nehmen, ihr einen Handkuss zu geben. Keiner von ihnen sagte zunächst etwas; befangen wie zwei sehr junge Leute, die gerade begonnen hatten, füreinander Gefühle zu entwickeln, sahen sie sich an.
Vielleicht sollte ich sie besser allein lassen, dachte Lillian und verkündete dann: »Ich werde mal zurück in die Küche gehen und uns Kaffee kochen.«
»Das ist eine gute Idee, Lillian!«, entgegnete Georg, ohne den Blick von seiner Besucherin abzuwenden.
Bevor sie sich diskret zurückzog, warf Lillian noch einen kurzen Blick auf Mrs Blake. So, wie ihr Großvater sie ansah, musste er doch einiges für sie empfinden. Und sie für ihn. Aber vielleicht deute ich da auch zu viel hinein, sagte sie sich und setzte dann das Kaffeewasser auf.
21
Am nächsten Morgen, nachdem sie ihren Großvater versorgt hatte, überbrachte ihr der Laufbursche des Telegrafenamtes einen Umschlag, den Lillian sogleich ins Zimmer des Großvaters trug.
»Was gibt es denn?«, fragte er und bedeutete Lillian, dass sie den Umschlag aufschlitzen sollte.
Lillian zog den Zettel hervor, und nachdem sie ihn kurz studiert hatte, reichte sie ihn mit einem strahlenden Lächeln an ihren Großvater weiter.
»Sie kommt! Die Kuppel wird bald geliefert!«
»Das sind ja hervorragende Nachrichten!«, entgegnete Georg, überflog das Schreiben noch einmal und strahlte seine Enkelin an. »Du musst unverzüglich Mr Arana Bescheid geben!«
»Aber ich kann dich doch nicht …«
»Mich nicht allein lassen?«, fiel Georg ihr lachend ins Wort. »Ich habe mir doch nur das Bein gebrochen! Mrs Peters wird bestimmt gern nach mir sehen. Und Mrs Blake wollte mich heute Abend nach der Arbeit auch besuchen, du siehst also, ich bin in guten Händen.«
Die Aussicht, zur Baustelle zu reiten und mit Henare zu sprechen, ließ ihr Herz erwartungsvoll klopfen. Doch konnte sie ihren Großvater wirklich allein lassen?
»Nun mach schon, Lillian!«, forderte Georg sie auf. »Sonst ist die Kuppel eher da, als sie auf der
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