Der Rote Mond Von Kaikoura
Dienste bot als das Herstellen von Sehhilfen.
»Überrascht?«, fragte Jason, als er ihren Blick bemerkte.
»Ziemlich. Allerdings wäre es dumm gewesen, jemanden zu erwarten, der nur Linsen verkauft.«
»Nun, gewissermaßen tut das Mr Shirley. Linsen für die Augen unterscheiden sich nur wenig von Linsen für optische Geräte. Er stellt nebenbei auch Ferngläser her, die besten, die man hier bekommen kann.«
Damit zog Jason die Bremse seines Wagens an und half Lillian beim Absteigen.
Als sie eintraten, passte Mr Shirley gerade einem Kunden eine Nickelbrille an. Der gute Mann musste sehr weitsichtig sein, denn die Linsen vergrößerten seine Augen auf eine fast groteske Weise. Während sich Lillian das Lachen verkneifen musste, fragte sie sich, ob seine Ehefrau ihn wiedererkennen würde. Aber wahrscheinlich war seine Frau schuld daran, dass er hier saß, denn ein Mann, der nicht mehr richtig sah, konnte im Haus erheblichen Schaden anrichten. Lillian selbst konnte ein Lied davon singen, denn auch vor ihrem Großvater war fast nichts sicher, wenn er seine Brille verlegt hatte.
Mrs Shirley arbeitete im Geschäft ihres Mannes mit; da Jason allerdings ein guter Bekannter zu sein schien, ließ sie sich dazu überreden, Lillian Frage und Antwort zu stehen. Während die Männer das Geschäftliche besprachen, gingen die beiden Damen nach oben. Mrs Shirley führte Lillian in ihren Salon, der recht einfach, aber gediegen eingerichtet war. »Setzen Sie sich, meine Liebe. Zufällig habe ich gerade frischen Tee gekocht.«
»Sie müssen wissen, dass Mr Ravenfield ein sehr geschätzter Kunde unseres Hauses ist«, erklärte sie, als sie mit den Teetassen und der Kanne wieder zurückkehrte. »Die Ferngläser für seine Farm lässt er ausschließlich hier anfertigen. Leider benötigt er noch keine Brille, die hätten wir ihm sonst auch verkauft.«
Lillian nickte und probierte dann von dem Tee. Er war köstlich.
»Wie sind Sie eigentlich an Mr Ravenfield geraten?«, fragte die Frau des Brillenmachers weiter.
»Ich habe ihn in Christchurch kennengelernt, kurz nachdem mein Großvater und ich hier angekommen sind.«
»Sie stammen aus Deutschland, nicht wahr? Ihr Name klingt jedenfalls danach.«
Lillian nickte, worauf Mrs Shirley weiterfragte: »Was hat Sie aus Ihrer Heimat fortgetrieben? Gibt es etwa schon wieder Krieg?«
»Nein, glücklicherweise nicht«, antwortete Lillian. »Mein Großvater erbaut in der Nähe von Kaikoura eine Sternwarte. Davon hat er schon immer geträumt, seit er das Land als Seemann kennengelernt hat.«
Das brachte Mrs Shirley dazu, ihre Tasse sogleich abzustellen, als fürchte sie, sie vor lauter Aufregung fallen zu lassen.
»Das ist ja höchst interessant. Und jetzt bestellt Ihr Begleiter gerade Linsen für die Teleskope, ist das richtig?«
Lillian nickte, ehrlich überrascht, dass die Frau mit ihrer Vermutung direkt ins Schwarze getroffen hatte. »Ja, das tut er. Und ich hoffe, Ihr Mann erschreckt sich nicht allzu sehr, wenn er die anderen Posten auf der Liste sieht. Mein Großvater hat sehr genaue Vorstellungen von dem, was er braucht.«
»Ihr Großvater scheint ein außerordentlich faszinierender Mann zu sein.«
»Das ist er. Und ich habe unbedingt vor, in seine Fußstapfen zu treten.« Wenn Mrs Shirley schon nicht mit dem Wesentlichen anfangen wollte, würde eben Lillian den Anfang machen. »Ich arbeite bereits jetzt als seine Assistentin, und wenn es mir möglich ist, werde ich ein Studium anstreben. Astronomie ist ein wirklich sehr aufregendes Thema.«
»Das glaube ich Ihnen gern! Als Kind habe ich mich immer gefragt, ob es möglich wäre, die Sterne von Nahem zu betrachten.« Mrs Shirleys Blick schweifte in die Ferne, als könnte sie sich selbst als Kind sehen, das angestrengt den Kopf in den Nacken legte. »Als ich erfuhr, dass es so etwas wie Teleskope gab, wollte ich selbst welche bauen. Alles, was mit Linsen zu tun hatte, faszinierte mich. Doch in England gab es keinen Bedarf an weiblichen Linsenschleifern.«
»Und was haben Sie dann getan?«
»Mir einen Brillenmacher als Mann gesucht«, entgegnete sie leichthin, allerdings wenig ernst gemeint, wie Lillian an ihrem Lächeln erkannte. »Sagen wir es einfach so, es war glückliche Fügung. Wir trafen uns, erkannten, dass wir dieselben Interessen hatten, und haben schließlich geheiratet. Als abzusehen war, dass Norman mit seinem Handwerk in England nicht richtig Fuß fassen könnte, sind wir nach Neuseeland gezogen. Und wir haben es
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