Der Rote Mond Von Kaikoura
dich.«
Bei den letzten Worten schoss Lillian das Blut in die Wangen. Natürlich würde sie es ihrem Großvater gegenüber nicht zugeben, doch tatsächlich konnte sie sich keine bessere Gesellschaft vorstellen als den Maori.
»Ich werde ihn fragen«, entgegnete sie. »Allerdings müsste ich dazu ins Lager reiten, und ich weiß nicht, ob du es so lange allein aushältst.«
Ein verschmitztes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Wenn du vorher noch einen kurzen Abstecher zu Mrs Blake machen würdest, bräuchtest du dir darum keine Sorgen zu machen.« Ihr Großvater zwinkerte ihr zu. »Ich glaube, sie würde mir mit Freuden meinen Tee bringen und vielleicht auch etwas von ihrem Kuchen. Von der angenehmen Gesellschaft mal ganz abgesehen. Wenn du zur Baustelle reitest, lässt sie sich hin und wieder auch blicken.«
»Dann habt ihr euch also …?«
»Verwundert dich das? Auch wenn ein Mensch alt wird, bleibt er ein Mensch. Catherine ist die erste Frau seit deiner Großmutter, zu der ich mich hingezogen fühle, und sie empfindet wohl Ähnliches für mich. Auch wenn sie ein paar Jahre jünger ist als ich.«
»Fast zwanzig Jahre, würde ich schätzen«, entgegnete Lillian, die erneut die elegante Erscheinung der Teestubenbesitzerin vor Augen hatte.
»Im Leben jedes Menschen gibt es einen Zeitpunkt, in dem das Alter nicht mehr zählt, sondern nur noch der, der du bist.«
»Und warum hast du mir nichts davon gesagt?« Lillian schüttelte den Kopf. »Nicht einmal dann, als sie dich hier besucht hat, obwohl du gemerkt haben musst, dass ich Lunte gerochen hatte? Wärst du nicht von dem Baugerüst gestürzt, hätte ich es wahrscheinlich nie erfahren.«
»Eines Tages gewiss«, gab Georg zurück. »Spätestens dann, wenn wir beide unsere Verlobung bekannt gegeben hätten.«
»Großvater!« Bevor sie fortfahren konnte, merkte Lillian, dass er sich einen Spaß mit ihr erlaubte.
»Keine Sorge, Liebes, aus dem Alter sind wir beide raus. Aber wir schätzen die Gesellschaft des anderen, reden miteinander, und sie füttert mich mit Kuchen. Das ist mehr, als ich mir nach dem Tod meiner Frau hätte wünschen können.«
So glücklich wie jetzt hatte ihr Großvater schon lange nicht mehr dreingeschaut. Warum sollte sie ihm dieses Glück nicht gönnen? Wie sie gesehen hatte, fiel es nicht gerade vom Himmel. Würde sie wohl eines Tages auch jemanden finden, der ihr ein solches Lächeln aufs Gesicht zauberte?
»In Ordnung, ich werde ihr Bescheid sagen. Und ich werde Mr Arana fragen, ob er bereit wäre, mich zu begleiten.«
Georg drückte ihr die Hand, und Lillian wusste nicht, ob sein Dank der Tatsache galt, dass sie die Mondfinsternis ansehen würde, oder ihrer Toleranz gegenüber seiner neuen Liebe.
Noch bevor die Sonne ihren mittäglichen Höchststand erreicht hatte, machte sich Lillian auf den Weg zur Baustelle. Wenn sie am kommenden Morgen zurückreiten wollte, musste sie sich sputen – und sich vor allem kurz fassen. Angst, in der Nacht zu reiten, hatte sie nicht, bei all ihren Ausritten war ihr nicht einmal ein Maoriwächter entgegengetreten. Auch die Tiere stellten keine Bedrohung dar. Da die Mondfinsternis schon bald stattfinden würde, musste sie noch einige Vorbereitungen treffen.
Bevor sie den Weg in den Busch einschlug, machte sie noch einmal vor der Teestube halt.
Mrs Blake begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln, doch etwas in ihren Augen war anders als bei ihrem letzten Zusammentreffen.
Nachdem Lillian ihr Anliegen vorgebracht hatte, ergriff Mrs Blake das Wort. »Ich sehe sehr gern nach Ihrem Großvater. Aber es gibt etwas, was ich Sie fragen muss.«
Lillian runzelte die Stirn.
»Wie ich weiß, waren Sie vor Kurzem mit Mr Ravenfield in Christchurch.«
»Ja, Sie haben doch nach meinem Großvater gesehen.«
»Nun, gibt es Gerede in der Stadt.«
»Gerede?«
»Die Leute erzählen sich, dass Jason Ravenfield damit prahlt, Sie verführt zu haben.«
Lillians Augen weiteten sich. Auf einmal hatte sie das Gefühl, als hätte ihr jemand ins Gesicht geschlagen. »Das ist eine faustdicke Lüge! Er hat mich bedrängt und ich habe ihn in die Schranken gewiesen.«
Mrs Blake sah ihr prüfend in die Augen, dann nickte sie. »Wie ich sehe, ist es das. Aber Sie sollten vorsichtig sein. Ravenfield ist ein sehr einflussreicher Mann. Er kann Sie und Ihren Großvater ziemlich schnell in Misskredit bringen.«
»Aber warum?«, fragte Lillian, während es in ihrer Magengrube unangenehm zu flattern begann. »Was habe ich
Weitere Kostenlose Bücher