Der Rote Mond Von Kaikoura
ihm getan? Er war es doch, der gegen jeden Anstand verstoßen hat!«
»Das ist richtig, allerdings verträgt er es offenbar nicht, abgewiesen zu werden. Was meinen Sie, warum er in seinem Alter noch alleinstehend ist? Keine Frau hält es länger mit ihm aus. Ich wünschte, ich hätte es Ihnen schon vorher sagen können, doch dass Ravenfield gewisse Absichten Sie betreffend hatte, habe ich erst von Ihrem Großvater erfahren.«
Lillian war auf einmal furchtbar übel. Wie konnte es dieser Mistkerl nur wagen?
»Und was soll ich jetzt tun?«
»Am besten gehen sie ihm aus dem Weg und verhalten sich so unauffällig wie möglich. Dass Gerüchte herumfliegen, können Sie nicht verhindern, aber Sie können durch tadelloses Benehmen dagegenwirken. Ich werde tun, was ich kann, um dieses Gerücht zu entkräften.«
Prüfend blickte Mrs Blake Lillian noch einmal in die Augen. »Und Sie haben ihm wirklich keinen Anlass gegeben?«
»Ich bin vom Wagen gesprungen«, entgegnete Lillian. »Ich bin fünf Meilen zu Fuß gelaufen, um nach Hause zu kommen. Das sieht in meinen Augen nicht so aus, als würde ich darauf erpicht sein, von einem Mann belästigt zu werden, oder?«
»Ist ja schon gut!« Ein Lächeln flammte auf Mrs Blakes Gesicht auf. »Mr Arana wird Sie bei der Beobachtung der Mondfinsternis unterstützen?«
»Ich wollte ihn fragen«, entgegnete Lillian, noch immer verwirrt über Mrs Blakes Offenbarung.
»Bei ihm brauchen Sie nichts zu befürchten. Er ist ein sehr anständiger Junge.«
»Ich weiß.« Lillian versuchte sich an einem Lächeln, das ihr aber nicht besonders gut gelang.
»Keine Sorge, das bekommen wir wieder hin. Ravenfield wird sich eine andere suchen, und irgendwann werden sich die Wogen wieder glätten.«
»Das ist sehr freundlich von ihnen«, entgegnete Lillian.
»Mögen Sie vielleicht ein bisschen Kuchen mitnehmen?«, fragte Mrs Blake nun aufmunternd. »Der Weg zur Baustelle ist sicher recht lang, da könnte es sein, dass Sie unterwegs der Hunger überfällt.«
Lillian war sicher, dass sie in den nächsten Stunden überhaupt nichts hinunterbekommen würde. Das Gerücht, das Ravenfield in die Welt gesetzt hatte, lag ihr schon schwer genug im Magen.
»Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich glaube, ich muss später darauf zurückkommen. Jetzt muss ich erst einmal zur Baustelle, ich will noch heute Abend wieder zurück sein.«
Mrs Blake nickte mit einem gütigen Lächeln. »In Ordnung, ich werde Ihnen ein Stück reservieren. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise, und wenn Sie Ravenfield begegnen, ignorieren Sie ihn einfach.«
Leichter gesagt, als getan, dachte Lillian wütend, als sie die Teestube wieder verließ. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass ein paar Leute die Köpfe zusammensteckten, als sie sie sahen. Lillian versagte es sich, in Tränen auszubrechen, stieg auf ihr Pferd und ritt los.
Auf der Baustelle angekommen, musste sie sich zu Henare durchfragen, denn draußen fand sie ihn nicht. Die Arbeiter sagten ihr, dass sie ihn in seinem Zelt finden würde, also begab sie sich dorthin. Während des Ritts hatte sie, sobald sie die Stadt hinter sich gelassen hatte, laut über Ravenfield und ihre eigene Dummheit geschimpft. Befreit fühlte sie sich nicht, aber immerhin hatte sie es geschafft, nicht in Tränen auszubrechen.
Henare hatte den Eingang des Zeltes aufgeschlagen gelassen. Hinter einem alten Schreibtisch brütete er über Bauplänen und Akten.
»Verzeihen Sie, Mr Arana, darf ich stören?«
»Miss Ehrenfels!« Überrascht blickte er auf. Und da war noch etwas anderes in seinem Blick. »Was führt Sie hierher?«
Zunächst wusste Lillian nicht, wie sie anfangen sollte. Verlegen zupfte sie an ihren Ärmeln, dann fasste sie sich schließlich ein Herz.
»Mein Großvater möchte, dass ich die Mondfinsternis beobachte und Notizen dazu mache. Dazu brauche ich Ihre Hilfe.«
Henare sah sie verwundert an. »Brauchen Sie jemanden, der Ihr Teleskop trägt? Vielleicht kann Mr Ravenfield einspringen.«
Diese Bemerkung stieß Lillian vor den Kopf. Was war los? Warum wies er sie ab? Natürlich hatte sie mitbekommen, dass die Beziehung zwischen ihm und Ravenfield nicht besonders gut war, doch dafür konnte sie doch nichts. Oder hatte sie Henare einfach nur auf dem falschen Fuß erwischt?
»Ich glaube kaum, dass Mr Ravenfield mir helfen könnte«, fuhr sie fort und zwang sich, so ruhig wie möglich zu bleiben, obwohl sie Henare am liebsten an den Ohren gezogen hätte. Die letzten Worte waren heftiger
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