Der Rote Mond Von Kaikoura
betreten und sich gestattet, von einem hübschen Hut oder einem Paar weicher Handschuhe zu träumen. Doch hier war sie allein, und was sie Ravenfield gesagt hatte, stimmte – sie hatte kein Geld für irgendwelchen Luxus. Außerdem hatte sie erkannt, dass ihr die Wissenschaft tatsächlich wichtiger war als ein Mann. Erst recht als ein Mann, der kein Verständnis für ihre Leidenschaft hatte.
Sie wusste nicht, ob die Stunde bereits um war, doch als sie zurückkehrte, wartete Jason bereits auf dem Kutschbock. Seine Miene war noch immer finster. Lag das noch immer an ihr oder war sein Gespräch nicht gut verlaufen?
»Wie ich sehe, sind Sie eisern geblieben«, stellte Ravenfield fest, als Lillian wieder zu ihm auf den Kutschbock kletterte. Er bemühte sich um ein Lächeln, doch es glückte ihm nicht besonders gut.
»Ich meine immer, was ich sage. Bitte entschuldigen Sie, wenn ich Sie verärgert habe, aber mir steht nicht der Sinn nach vielen Kleidern. Die werde ich bei der Arbeit kaum gebrauchen können.«
»Dann ist es Ihnen weiterhin ernst damit, dass Sie der Wissenschaft nachgehen wollen?«
»Ja, das ist mein voller Ernst. Das Gespräch mit Mrs Shirley hat mich nur darin bestätigt.« Lillian entging nicht, dass ein Blitzen durch Ravenfields Augen ging. Soll er doch enttäuscht sein, dachte sie. Ich werde jedenfalls in der Sternwarte arbeiten, sobald sie aufgebaut ist.
In der Mission, die sie kurz vor Sonnenuntergang erreichten, wurden sie erneut herzlich aufgenommen. Lillian war sehr angetan von der Freundlichkeit des Reverends und seiner Haushälterin, die sie versorgten, als wären sie ihre eigenen Kinder. Wenn ich mit Großvater nach Christchurch reise, werde ich ihn dazu überreden, hier zu übernachten, sagte sich Lillian, während sie sich in die Federn kuschelte; wenig später war sie eingeschlafen.
Am nächsten Morgen wurde sie wach, als sie jemanden auf dem Gang vor ihrem Zimmer rumoren hörte. Offenbar war Ravenfield schon auf den Beinen. Am Abend zuvor war er sehr wortkarg gewesen, doch seine Miene hatte sich nach und nach wieder ein wenig aufgehellt.
Nach einem kräftigen Frühstück und herzlichen Abschiedsworten machten sie sich auf den Weg nach Kaikoura. Der Himmel war strahlend blau, und während sie den Blick über den Horizont schweifen ließ, fragte sich Lillian, ob man die Glaskuppel der Sternwarte von hier aus würde sehen können.
Gegen Mittag legten sie eine kurze Rast ein. Die Haushälterin hatte ihnen ein üppiges Proviantpaket mitgegeben, dessen Inhalt sie mit Appetit verzehrten; anschließend tränkte Jason die Pferde in einem nahe gelegenen Bach. Lillian legte sich derweil auf die Decke, die Jason auf dem Gras ausgebreitet hatte, und schaute in den Himmel. Vereinzelte Wolken schwebten wie Federn über das ansonsten makellose Blau. Die Ruhe ringsum verleitete sie dazu, die Augen zu schließen und sich vorzustellen, wie es wäre, wenn sich über ihr der Sternhimmel ausbreiten würde, unzählige Sterne und dazwischen das Band der Milchstraße …
Ein Schatten über ihrem Gesicht ließ sie aufschrecken. Wie lange mochte Ravenfield sie schon beobachtet haben?
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte Lillian, während sie sich wieder erhob. »Ich hoffe, ich bin nicht weggenickt.«
Ravenfield schüttelte den Kopf. »Nein, aber Sie sind sehr schön, wenn Sie schlafen. Fast wie eine Prinzessin.«
Das Kompliment überraschte Lillian. »Vielen Dank«, sagte sie, während ihr das Blut in die Wangen schoss.
»Wollen wir weiter?«, fragte Jason, nachdem er sie noch einen Moment lang angesehen hatte.
»Natürlich.« Er reichte ihr galant die Hand und half ihr auf.
Rasch räumten sie die Decke und die Reste des Picknicks auf, dann schirrte Ravenfield die Pferde wieder ein.
Kaum war auch sie wieder auf dem Wagen, lehnte sich Ravenfield zurück und sah sie an. Lillian fragte sich zunächst, was das sollte, doch plötzlich beugte er sich vor. Bevor sie darauf reagieren konnte, legten sich seine Hände um ihre Taille und zogen sie dicht an seine Brust.
Lillian stemmte die Hand gegen seinen Oberkörper, was ihm ein raues Lachen entlockte.
»Komm schon«, raunte er in einem Tonfall, der ihr einen Schauder über den Rücken jagte. »Du musst anscheinend erst mal sehen, wie es mit einem Mann ist, dann wirst du deine Wissenschaft vergessen.«
Lillian wollte etwas erwidern, doch da presste er seine Lippen bereits auf ihre und drang mit seiner Zunge in ihren Mund. Seine Hände wanderten dabei zu ihren
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