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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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gesehen hatte. Nach ein paar Jahren hatte er genug davon gehabt und sich entschieden, dem Wunsch seiner Eltern nachzukommen und zu studieren. Immerhin war genug von dem jugendlichen Rebell in ihm geblieben, dass er anstelle eines einträglichen Jurastudiums die Physik gewählt hatte – in der Absicht, sich eines Tages der Astronomie zu widmen.
    Dass ihr Großvater schon einmal in Neuseeland gewesen war, hatte Lillian allerdings erst erfahren, als er sich zur Auswanderung entschlossen hatte.
    Auf dem Schiff hatte er immer wieder einmal von den Inseln am anderen Ende der Welt erzählt. »Ein wildes, raues Land war das damals noch«, hatte er eines Tages gesagt, während sein Blick wie abwesend aus dem Bullauge auf die graue See gefallen war. »Es gab keine Häfen; wenn man aufs Festland wollte, wurde man mit einem Boot zum Strand gebracht und musste dort mitsamt seiner Habe warten, bis man abgeholt wurde. Die Eingeborenen waren sehr kriegerisch, wozu sie auch allen Grund hatten, denn seit James Cook dort gelandet war, hatte es England darauf abgesehen, ihnen dieses Land wegzunehmen.«
    Doch, so hatte er hinzugesetzt, mittlerweile hatten sich die Verhältnisse ein wenig geändert. Seit dem Frieden von Waitangi sei das Verhältnis zwischen Maori und Einwanderern etwas entspannter, allerdings käme es hin und wieder doch noch zu Missverständnissen, die in Kämpfen ausarteten. »Aber sicher nicht bei uns«, hatte er Lillian versichert. »Immerhin sind wir nicht auf ihr Land aus.«
    »Dennoch brauchst du Grund und Boden, um deine Sternwarte zu errichten«, hatte Lillian entgegnet, worauf ein merkwürdiges Lächeln auf sein Gesicht getreten war.
    »Für alles findet sich eine Lösung, glaub mir. Für alles.«
    Lillian vertrieb die Erinnerung, indem sie tief die raue, nach Gras, Laub und Erde duftende Luft einatmete, die sie ein wenig an Deutschland im Frühling erinnerte. Um diese Zeit lag zu Hause sicher noch Schnee. Zu gern wäre sie mit ihrer Freundin am Rheinufer entlang Schlitten gefahren. Doch nun war sie hier, und vor ihr breitete sich ein Teppich aus sattgrünem Gras aus. Über den Anhöhen schwebte tief der weiße Dunst, während sich über ihnen die Sonne mühte, die Wolkendecke zu durchdringen, die mit jeder Meile, die sie sich vom Meer entfernten, immer dichter zu werden schien.
    Ein wenig erinnerte die Landschaft Lillian an Schottland, wenngleich hier das Klima wesentlich angenehmer war. Als Kind hatte ihr Großvater sie einmal dorthin mitgenommen, als er Gast eines Earls gewesen war, der sich sehr für die Sternbeobachtung interessierte. Viel war von diesem Besuch in ihrer Erinnerung nicht hängen geblieben, denn sie war gerade erst acht Jahre alt gewesen. Doch sie erinnerte sich noch sehr gut daran, wie groß ihr die Treppenstufen vorgekommen waren, die in den Schlossturm führten. Und an das glänzende Teleskop im Turmzimmer. Mit staunenden Augen hatte sie beobachtet, wie der Earl einen Mechanismus in Gang setzte, der das Dach öffnete und so den Blick auf den Himmel freigab, der ebenso wie hier meist bewölkt war.
    »Kein gutes Sternenwetter«, brummte ihr Großvater jetzt und wischte damit das Bild des Turmzimmers vor ihrem geistigen Auge fort. »Hoffentlich bleibt das nicht so, sonst werden wir uns doch weiter im Norden ansiedeln müssen.« Das folgende Lachen verriet, dass er diese Bemerkung nicht ernst gemeint hatte.
    So war ihr Großvater. Hin und wieder sagte er etwas, was er zwar scherzhaft meinte, aber so hervorbrachte, als sei es sein voller Ernst. Nicht nur einmal war er dafür bei seinen Nachbarn angeeckt, die ihn schon bald den »verrückten Sterngucker« nannten. Hoffentlich begriffen die Leute hier schnell, dass er nur halb so ernsthaft war, wie er wirkte.
    »Die Wolken werden sich schon wieder verziehen«, entgegnete sie, während sie den Koffer wieder zurechtrückte, der auf dem gegenüberliegenden Sitz abgestellt war und nach vorn zu kippen drohte. »Außerdem wird es eine Weile dauern, bis die Bauarbeiten abgeschlossen sind.«
    Ein entrückter Ausdruck trat auf das Gesicht ihres Großvaters. Lillian kannte diesen Ausdruck nur zu gut. Wenn das Gespräch auf das bevorstehende Bauvorhaben kam, schien Georg Ehrenfels bereits das fertige Gebäude vor sich zu sehen und durch seine Gänge zu wandeln. Und dann brauchte er für gewöhnlich einige Momente, bevor ihm wieder einfiel, dass noch kein einziger Quadratmeter Fundament gelegt war und kein einziger Stein auf dem anderen lag.
    Als er wieder

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