Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
Vom Netzwerk:
reichte sie ihr einen Kleidersack. »Es ist ein wenig staubig, aber Sie werden vernünftig darin aussehen. Ich hätte Ihnen gern auch noch ein Ballkleid gegeben; vielleicht wird später noch etwas daraus.«
    Damit umarmte sie Lillian und ließ sie ihrer Wege ziehen.
    Über dem Friedhof der Stadt war es an diesem Nachmittag sehr still. Für die Opfer des Erdbebens hatte man den Gottesacker erweitert; etwa fünfzig Gräber klafften wie dunkle Mäuler in dem niedergetretenen Gras. Die Bürger der Stadt, die noch über Fuhrwerke verfügten, hatten die Särge zu den Gräbern gebracht und neben den Gruben abgestellt. Außerdem waren aus Blenheim und der Mission nahe Christchurch Pastoren erschienen, um den Toten den letzten Segen zu spenden.
    Am Grab ihres Großvaters wurde Lillian bereits von Henare und Catherine Blake erwartet, die in den vergangenen Tagen um Jahre gealtert zu sein schien. Ihre Augen waren tränenverquollen und ihre Wangen eingefallen. Lillian umarmte sie herzlich.
    »Der Reverend von der Mission hat erzählt, dass der Kirchturm von Christchurch bei dem Erdbeben eingestürzt sein soll«, flüsterte Henare wenig später, wohl, um sie ein wenig abzulenken, denn Lillians Blick ruhte nun auf dem schlichten Sarg, und ihr Blick verschwamm unter Tränen. »Christchurch hat es besonders hart getroffen, fast die ganze Stadt ist zerstört. Gut weggekommen ist nur Blenheim, dort hat es zwar auch Schäden gegeben, allerdings nicht solche gravierenden.
    »Das wird Mr Caldwell sicher freuen«, entgegnete Lillian, während sie sich die Tränen abwischte.
    »Vor allem wird Mr Caldwell mit dem Bau der Sternwarte weitermachen, hat er mir heute gesagt. Ich finde, das solltest du wissen.«
    Lillian nickte, ergriff seine Hand und drückte sie zärtlich.
    Als der Reverend aus Blenheim am Grab ihres Großvaters erschien, war es jedoch vorbei mit ihrer Beherrschung. Unter ihrem und Mrs Blakes Schluchzern gingen die Worte des Geistlichen fast unter, und noch schlimmer wurde es, als der Sarg von den Trägern in die Grube gesenkt wurde. Beide Frauen suchten Halt bei Henare, der ihre Hände tätschelte und dabei mit seinen eigenen Gefühlen kämpfte.
    Als die Grube zugeschaufelt war, kniete Lillian vor dem Grab nieder. Da sie keine Blumen hatte, zeichnete sie etwas in den Sand, die Symbole der Planeten und in ihrer Mitte die Sonne. Als sie sich erhob und umsah, entdeckte Lillian, dass auch noch andere Leute aus der Stadt hinter sie getreten waren, um ihrem Großvater die letzte Ehre zu erweisen.
    Einige Schritte dahinter bemerkte sie noch eine andere Gestalt. Ravenfield! Er war hier, doch er hatte nicht den Schneid, an das Grab zu treten. Während sie den Blick nicht von ihm ließ, hakte sie sich demonstrativ bei Henare ein, der ihn ebenfalls bemerkt hatte.
    »Ich wünschte, er wäre auf seiner verdammten Farm geblieben«, wisperte sie, als sie sich umwandten und der Stadtmitte zustrebten.
    »Es kann ihn niemand davon abhalten, hier aufzutauchen. Allerdings hätte ich erwartet, dass er zu dir kommt und dir sein Beileid ausspricht. Immerhin hat er mit deinem Großvater zusammengearbeitet.«
    »Sie haben sich ein paar Mal gesehen, das reicht offenbar nicht«, entgegnete Lillian. »Aber ich lege auch keinen Wert darauf. Ich will ihn gar nicht sehen.«
    »Und du brauchst ihn eigentlich nicht mehr, denn ich werde versuchen, die Maori zu überzeugen …« Henare hielt einen Moment inne. Die anderen Trauergäste hatten sich verstreut, außer Mrs Blake war niemand mehr bei ihnen.
    Kurz tauschte er einen Blick mit der Teestubenbesitzerin, die milde durch ihre Tränen lächelte.
    »Da gibt es etwas, das du wissen solltest«, begann Henare. »Ich bin nicht irgendein Maori aus einem namenlosen Stamm, ich entstamme dem Dorf, in das wir geritten sind, um mit dem Häuptling zu sprechen. Genau genommen … bin ich der Sohn des Häuptlings. Vor ein paar Jahren bin ich weggegangen, und seitdem gelte ich vielen im Dorf als Verräter. Aber ich habe beschlossen, mich mit meinem Vater zu versöhnen.«
    Lillian war zunächst sprachlos, doch dann schlich sich auch auf ihr tränennasses Gesicht ein Lächeln.
    »Dann haben wir ja beste Beziehungen zu dem Dorf«, sagte sie und umarmte ihn.

29
    Als ihre Dienste im Lazarett nicht mehr gebraucht wurden, überredete Henare Lillian, mit ihm ins Zeltlager an der Sternwarte zu ziehen. Dazu ließ er eigens das Zelt ihres Großvaters wieder aufrichten – mit allem, was sich dort befunden hatte. Zunächst hatte er

Weitere Kostenlose Bücher