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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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Hospital gehen und meine Hilfe anbieten.«
    »Und was ist mit Ihrem Großvater?« Ahnung schwang in den Worten der Frau mit, doch offenbar wollte sie nicht taktlos sein.
    »Er ist tot«, antwortete Lillian beklommen. »Ich habe sonst niemanden hier, und ich glaube, dass mich die Menschen im Hospital brauchen. Auf die eine oder andere Weise.«
    »Sie scheinen ein tapferes Mädchen zu sein«, sagte die Frau. »Ich wüsste nicht, ob ich mich nach dem Verlust eines geliebten Menschen dazu aufgerafft hätte, anderen zu helfen.«
    »So hat mich mein Großvater erzogen«, entgegnete Lillian und spürte, wie es ihr die Kehle zusammenschnürte.
    Obwohl noch immer Männer daran arbeiteten, Verschüttete zu bergen, wirkte Kaikoura wie eine Geisterstadt. Schaudernd blickte Lillian auf Trümmer und Ruinen; ein erbärmliches Jaulen ertönte in der Ferne. Die Ruhe, die auf der zerstörten Stadt lag, wirkte trügerisch. Wie sie wusste, konnte es zu weiteren Erdstößen kommen. Manchmal folgten sie schnell, manchmal kamen sie erst Tage und Wochen später. Wie viel Zeit würde den Menschen hier bleiben, um die Verletzten zu bergen und die Trümmer fortzuschaffen?
    Um die Schwere aus ihren Gliedern zu vertreiben, reckte sich Lillian, dann machte sie sich auf den Weg zu dem provisorischen Lazarett. Unterwegs begegneten ihr ein paar Männer mit Spitzhacken und Schaufeln. Einige von ihnen kamen Lillian bekannt vor; sie hatte sie auf der Baustelle gesehen. Offenbar hatte Henare sie hergeholt, damit sie helfen konnten.
    Von der Sternwarte ist bestimmt nichts übrig geblieben, dachte Lillian, und der Gedanke, dass das letzte Vermächtnis ihres Großvaters zerstört war, trieb ihr die Tränen in die Augen. Wenigstens hatte er das Erdbeben und die Zerstörung nicht mehr mitbekommen. Seit sie sich für die Wissenschaften interessierte, zweifelte sie an der Existenz eines Jenseits, eines Himmels, von dem ihr Großvater zu ihr hinunterblicken konnte. Dennoch schwor sie sich, dass sie die Sternwarte wieder aufbauen würde. Irgendwie …
    Stimmengewirr riss sie aus ihren Gedanken. Weitere Männer begaben sich auf die Suche nach Überlebenden. Lillian fragte sich zum wiederholten Male, was wohl aus Samantha geworden war. Schlechtes Gewissen überkam sie: Sie hätte sie suchen müssen.
    »He, Miss, wohin wollen Sie denn?«, sprach einer der Männer sie an. Offenbar hielt er sie für eine Überlebende, die nicht wusste, wohin sie gehen sollte.
    »Zum Lazarett«, antwortete Lillian.
    »Wir kommen gerade von da«, erklärte der Fremde und deutete dann hinter sich. »Gehen Sie einfach Ihrer Nase nach, Sie können es nicht verfehlen.«
    Lillian bedankte sich und ging weiter. Nach einer Weile tauchte es vor ihr auf. Henare hatte offenbar nicht nur dafür gesorgt, dass die Männer hier halfen, er hatte sie auch ihre Zelte herbringen lassen. Das Lazarett war eine Ansammlung kleinerer Zelte um ein größeres, das offenbar zur Behandlung und Überwachung besonders schwerer Fälle gedacht war. Trüber Lichtschein strömte ihr entgegen; zwei Männer trugen einen Patienten zu dem Zelt, vor dem bereits eine Frau wartete.
    Während sie sich umsah, blieb sie mit ihrem Stiefel in einem der Seile hängen, mit denen die Zelte verankert waren. Ein Protestruf aus dem Zelt holte sie zurück in die Wirklichkeit.
    Am großen Zelt angekommen, hielt Lillian inne und lauschte. Die Stimmen der Ärzte und Pflegerinnen mischten sich mit dem leisen Jammern der Patienten. Plötzlich wurde die Zeltplane aufgerissen, und eine Frau kam ihr entgegen. Das Wasser in der Schüssel, die sie vor sich trug, war rot gefärbt von Blut. Zunächst murrte sie, als sie Lillian sah, dann sagte sie: »Wenn Sie zum Doc wollen, müssen Sie ein Weilchen warten, der amputiert gerade.«
    Schlimmer konnte es im Krieg auch nicht zugehen!
    »Ich möchte nicht zum Doc«, antwortete Lillian. »Ich wollte fragen, ob Sie Hilfe benötigen.«
    »Hilfe brauchen wir immer, Schätzchen«, entgegnete die Frau. »Gehen Sie ruhig rein und melden Sie sich bei einer der Schwestern.«
    Blutgeruch schlug Lillian entgegen, als sie das Zelt betrat. Die Luft war zum Schneiden dick. Das Licht war hier ein wenig heller und warf die Schatten des Arztes und einer Schwester auf ein provisorisch aufgespanntes Laken. Ein leises Wimmern folgte der Anordnung an die Schwester, dass sie neue Tücher holen sollte.
    »Was suchst du hier, Mädchen?«
    Lillian wirbelte erschrocken herum. Aus dem Halbdunkel tauchte eine Frau in

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