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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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Männern. Forscher zu sein! Warum war mir das bisher noch nicht in den Sinn gekommen? Freilich hatte ich da noch keine Ahnung, was ich erforschen sollte. Vögel, Vierbeiner oder Insekten? Pflanzen vielleicht, die ich sammeln und in Herbarien pressen könnte? Ich hätte keine Entscheidung treffen können. Erst viel später, unter einem fremden Himmel, würde ich es erfahren.
    Es wurde eine recht nasse und stürmische Überfahrt. Klipper sind die nassesten Schiffe der Welt – und die engsten. Neben der Mission der Wissenschaftler, die auch Wochen nach unserem Auslaufen immer noch mein Interesse fesselten, sollten wir auf dem Rückweg in Indien Station machen und Tee laden. Assam und Darjeeling für das gute alte England. Obwohl die Frachträume dafür leer standen, fiel es dem Kapitän im Traum nicht ein, diesen Platz der Mannschaft zur Verfügung zu stellen. Dicht an dicht, wie Bienenlarven in ihren Waben, reihten wir uns mit unseren Hängematten unter Deck auf. Wenn das Schiff krängte oder sich im Wellengang aufbäumte, schaukelten wir alle im Takt wie Kinder in einer Wiege des Teufel s.
    Doch die Enge, die ich von anderen Schiffen her kannte, bereitete mir kein Unbehagen. Trotz meines vergleichsweise geringen Alters war ich gerissen genug gewesen, meine Hängematte in der Nähe der Tür zu platzieren. Natürlich kam man an diesem Platz als Letzter ins Bett und musste es auch erdulden, dass sämtliche andere Matrosen unter einem hinwegkletterten, wenn sie mal raus mussten. Doch die Hängematte an der Tür, der vermeintlich schlechteste Platz, war für mich ein wahrer Segen, ermöglichte er es mir doch, heimlich und verbotenerweise unser Quartier zu verlassen und an Deck zu gehen.
    Eines Abends, kurz nach einem heftigen Sturm, der uns alles abverlangt und die Männer ausgelaugt hatte, schlich ich mich wieder einmal an Deck. Die Wache döste an der Reling; noch waren wir nicht in Breiten, in denen wir Piraten fürchten mussten. Ich genoss diese Augenblicke der Ruhe, ohne das Schreien des Bootsmannes. Doch diesmal war ich nicht allein.
    »Kannst du auch nicht schlafen, Junge?«, fragte eine Stimme hinter mir, die mich zu Tode erschreckte.
    Als ich herumwirbelte, sah ich in das Gesicht eines der Forscher. Niemand sonst hätte mich so sanft angesprochen. An Deck herrschte ein rauer Ton, wäre es einer der älteren Seeleute gewesen, hätte er mich sicher am Ohr davongezerrt und mir einen Tritt verpasst, der mich durch die Decksluke geschickt hätte.
    Doch dieser Mann stand zwei Armlängen von mir entfernt und betrachtete mich wie eines seiner Forschungsobjekte.
    Wie lange er schon an der Reling stand, konnte ich nicht sagen. Vielleicht war er vor mir da gewesen und ich hatte ihn übersehen. Oder er besaß die Gabe, sich unbemerkt anzuschleichen, was für einen Naturforscher vielleicht wichtig war.
    Auf jeden Fall schien er nicht gewillt, seinen Platz zu räumen – und ich muss ihn wie das achte Weltwunder angestarrt haben, denn nach einem kurzen Auflachen sagte er: »Keine Sorge, Junge, ich will dir keinen Ärger machen. Ich habe nur festgestellt, dass du auf ganz besondere Weise die Sterne ansiehst. Fast so, als würdest du etwas davon verstehen.«
    »Ich … ich verstehe davon nichts, Sir. Ich wundere mich nur immer wieder …« Sollte ich meine Gedanken mit ihm teilen? Ich, der ich nur ein einfacher Matrose war, der zwar schon einiges von der Welt gesehen hatte, aber noch lange nicht verstand, warum der Lauf der Dinge so war, wie er war?
    »Worüber wunderst du dich?«
    Er machte einen Schritt auf mich zu und lächelte. Da sein Interesse ehrlich zu sein schien, antwortete ich: »Der Himmel im Süden – er sieht anders aus.«
    »Das ist korrekt«, antwortete der Wissenschaftler. »Die Sternbilder, die uns bekannt sind, stehen auf dem Kopf. Und es gibt viele Sternbilder, die die Menschen im guten alten Europa niemals kennenlernen werden, es sei denn, sie begeben sich auf die Reise.«
    Diese Worte bewegten etwas in mir. Noch wusste ich nicht, wie sich das auswirken würde, aber eines Tages, da war ich sicher, würde ich es erkennen.
    »Es gibt sehr viele Geheimnisse dort draußen«, setzte der Wissenschaftler hinzu, während er mein Staunen beobachtete. »Gottes Schöpfung ist größer, als wir alle glauben. Aber eines Tages werden wir dem Wissen, das nur ER hat, ein wenig näher kommen.«
    Ich fragte mich, ob Gott das gefallen würde. Wenn er gewollt hätte, dass wir seine Geheimnisse enträtseln, hätte er uns dann

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