Der Rote Mond Von Kaikoura
einmal atmete sie tief die süße Nachtluft ein, dann zog sie sich wieder in ihr Zelt zurück.
Natürlich fielen meine Eltern aus allen Wolken, als ich wieder vor ihrer Haustür auftauchte – und dann noch mit einem Kind im Arm. Die Kunde, dass ich in Neuseeland verschollen sei, hatte sich herumgesprochen; nur meine Mutter hatte immer noch gehofft, dass ich irgendwann heimkehren würde. Sie war es dann auch, die Verständnis zeigte und sich meine Geschichte anhörte, während mein Vater grollend in seinem Arbeitszimmer verschwand und sich nur noch zu den Mahlzeiten blicken ließ.
Doch eines Tages war ich es leid. Ja, ich hatte einen Fehler gemacht, und ich war bereit, dafür zu büßen. Nur durfte er mich nicht mehr mit Missachtung strafen. Am folgenden Tag, kurz nachdem er sich wieder einmal vor mir versteckt hatte, trat ich in seine Studierstube.
Er saß hinter seinem Schreibtisch, und als wüsste er, wer ihn beehrte, rührte er sich nicht.
Ich räusperte mich verlegen. »Vater?«
Er sah nicht auf, doch immerhin verharrte seine Hand über dem Papier, ohne weiterzuschreiben. Wahrscheinlich wollte er vermeiden, dass ein unbedachter Strich oder ein Klecks auf das Papier kam, doch ich war für dieses Innehalten dankbar, ließ es mich doch hoffen, dass ich wenigstens für einen Moment Gehör bei ihm fand.
»Vater, ich möchte dich um Verzeihung bitten für alles, was ich getan habe.« Meine Stimme klang so unsicher wie die des Jungen, der das Haus bei Nacht und Nebel verlassen hatte. Doch damals hätte ich mir die Fehler wahrscheinlich nicht eingestehen wollen. Und schon gar nicht hätte ich um Verzeihung gebeten! »Ich weiß, ich habe euch enttäuscht. Ich hätte niemals auf das Schiff gehen sollen. Aber ich muss sagen, dass mir eins in meinem Leben nicht leidtut, und das ist mein Sohn. Seine Mutter war meine Frau, und sie ist gestorben, als sie ihm das Leben geschenkt hat. Ich werde für ihn sorgen, wie es sich gehört, und wenn ich Tag und Nacht dafür arbeiten muss.«
Mein Vater ließ seine Hand sinken. Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Kehle, als er aufblickte.
»Deinem Kind mache ich keinen Vorwurf, und du sollst wissen, dass wir es als Enkel annehmen werden. Ob ich dir allerdings jemals wieder vertrauen kann, weiß ich nicht.«
»Ich verstehe.« Ich räusperte mich und senkte verlegen den Kopf.
»Aber du bist mein Sohn, und ich werde dir Gelegenheit geben, deinen Fehler wiedergutzumachen. Du wirst auf die Universität gehen und in deiner freien Zeit in meinem Kontor arbeiten. Damit sollten wir deinen Ruf so weit wiederherstellen können, dass du ein akzeptabler Ehemann für eine der Bürgerstöchter in dieser Stadt bist.«
Und so fügte ich mich in mein bürgerliches Leben, gab meinem Sohn den Namen Jonas und lernte schließlich Anna kennen, die in den Augen meiner Eltern eine mustergültige Ehefrau für mich war. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich sie mit gleicher Leidenschaft wie meine Maori-Prinzessin geliebt hätte, doch sie wurde mir eine treue und liebevolle Gefährtin.
Die folgenden Jahre verliefen sehr ruhig. Anna und ich versuchten, ein gemeinsames Kind zu bekommen, doch vergeblich. In diesen Augenblicken war ich froh, den kleinen Jungen mitgenommen zu haben, denn für Anna war Jonas wie ein eigener Sohn, und er gedieh prächtig. Allerdings plagten mich des Öfteren Gewissensbisse. Hatte sein Stamm nicht auch ein Anrecht auf ihn? Sollte ich ihm sagen, woher er stammte?
Ich hatte das Versprechen gegeben, ihn zurückzubringen, wenn er alt genug war, aber würde ich ihn damit nicht überfallen, wenn ich es ihm erst im Erwachsenenalter sagte?
Doch dann sah ich wieder, mit welcher Liebe Anna ihn umgab und welche Liebe er ihr schenkte in dem Glauben, sie sei seine wirkliche Mutter. Ich befürchtete, dass dieses Band reißen würde, wenn die Wahrheit ans Licht kam, und so schwieg ich. Selbst dann noch, als Anna im Sterben lag und aus dem Jungen ein Mann geworden war, der bereits eine eigene Familie gründete. Das Gewissen plagte mich immer stärker, und alte Geschichten von Maoriflüchen kamen mir in den Sinn, die jene erreichen sollten, die etwas aus dem Stamm gestohlen hatten. Gestohlen hatte ich meinen Sohn nicht, aber da war immer noch das Versprechen …
Ich kam nicht mehr dazu, es ihm zu offenbaren. Ein furchtbares Unglück nahm mir meinen Jungen und seine Frau und ließ mir nur ein kleines Mädchen zurück, in dessen Augen seine Klugheit leuchtete und dessen
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