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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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Haus ein«, erklärte Henare. So angespannt hatte sie seine Züge noch nie gesehen. »Allerdings fürchte ich, dass Miss Ehrenfels draußen bleiben muss.«
    »Ich?«, platzte es aus Lillian heraus. »Aus welchem Grund?«
    »Verhandlungen werden hier von Männern geführt«, erklärte Caldwell. »Nur wenn der Schamane des Stammes eine Frau ist, ist sie dabei. Ansonsten ist das reine Männersache.«
    Georg sah seine Enkelin an. »Tut mir leid, mein Kind, du musst dich fügen. Aber ich bin sicher, dass es hier im Dorf viel für dich zu sehen gibt.«
    Gezwungenermaßen nickte Lillian, doch zufrieden war sie nicht.
    »Ich werde dir nachher alles berichten«, versprach ihr Großvater, und Lillian wusste, dass er Wort halten würde, doch sie hätte nur zu gern das Versammlungshaus von innen gesehen. Wahrscheinlich war es noch prachtvoller als ihre Unterkunft.
    Seufzend sah sie den Männern nach, wie sie die Gästehütte verließen und dann über den großen Platz zum Versammlungshaus schritten. Als sie den Blick von ihnen abwandte, fielen ihr ein paar Frauen ins Auge, die vor ihren Hütten standen und miteinander plauderten.
    Offenbar war es doch überall auf der Welt das Gleiche. In Deutschland schloss man Frauen vom Studium aus – und hier bei wichtigen Besprechungen. Natürlich hielten sich auch in Deutschland die Frauen aus den Geschäften der Männer heraus – doch ihr Großvater hatte es immer so gehalten, dass er ihr Dinge, die eigentlich nur Männern zugänglich waren, beigebracht hatte – denn einen anderen Erben als sie hatte er nicht.
    Frustriert schnaufend erhob sie sich, doch sie konnte ihren Gefühlen nicht freien Lauf lassen, weil im nächsten Augenblick zwei junge Frauen durch die Tür traten. Während sich die eine ein paar Decken unter die Arme geklemmt hatte, trug die andere eine große Schale mit Früchten vor sich her.
    Beide lächelten Lillian so herzerwärmend an, dass es ihr schwerfiel, weiter vor sich hinzugrollen.
    »Du essen«, sagte das Mädchen mit der Fruchtschale, die sie vor ihr auf den Boden stellte. »Süße Früchte machen, dass du wieder lächelst.« Offenbar hatten die beiden mitbekommen, dass sie schlechter Stimmung war.
    »Vielen Dank«, sagte Lillian. Dann fiel ihr etwas ein. »Wie sagt man Danke bei euch?«
    Die beiden Mädchen sahen sich an und kicherten. Was war an dieser Frage komisch? Oder hatten sie sie etwa nicht verstanden?
    »Wir danken nicht mit Wort. Wir danken mit Tun.«
    Das hörte sich für Lillian zunächst ein wenig seltsam an, doch dann glaube sie, es zu verstehen. Wie oft war Dank nur ein leeres Wort, das man aus Höflichkeit aussprach. Die Maori schienen das begriffen zu haben und legten Wert darauf, dass man sich für einen Gefallen revanchierte.
    Ein wenig verlegen beobachtete Lillian die beiden Mädchen nun dabei, wie sie die Decken auf die Schlafmatten verteilten. Wie sollte sie sich dafür bei ihnen revanchieren? Oder wurde dergleichen von einem Gast gar nicht erwartet?
    Während sie darüber nachdachte, nahm sie einen orangefarbenen Fruchtschnitz aus dem Korb und biss hinein. Was für ein Aroma! Noch während sie schwelgend die Augen schloss, huschten die beiden Maorimädchen wieder aus dem Raum. Ich muss Henare fragen, was das für eine Frucht ist, ging es ihr durch den Sinn, denn sie wollte Adele in allen Einzelheiten von ihrem Besuch hier berichten. Doch vorerst blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten.

12
    Die Verhandlungen nahmen den ganzen Nachmittag in Anspruch. Da Lillian ihr Schreibzeug zu Hause gelassen hatte, dachte sie darüber nach, wie sie ihren Bericht formulieren könnte. Die ganze Zeit über passierte etwas vor der Hütte, sei es, dass Maorifrauen Gemüse und Früchte in großen Körben über die Straße trugen, einen Schwatz hielten oder Kinder zur Ordnung riefen, die Spiele spielten, die denen europäischer Kinder gar nicht mal so unähnlich waren. Einmal gerieten zwei Männer offenbar in Streit, der aber durch herbeigeeilte Frauen schnell wieder beigelegt wurde. Bei einer dieser Frauen bemerkte Lillian eine Tätowierung am Kinn, offenbar ein Zeichen von höchster Würde, denn die anderen Frauen und auch die Männer behandelten sie entsprechend respektvoll.
    Als die Abenddämmerung sich anschickte, den Tag mit einem rosafarbenen Schleier zu bedecken, kehrten die Männer zurück. Ihre Gesichter waren gerötet, als hätten sie in einem zu warmen Raum gesessen. Lillian suchte das Gesicht ihres Großvaters und erkannte an seiner Miene,

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