Der Rote Mond Von Kaikoura
verteidigte sich Lillian rasch, denn sie wollte nicht, dass er auf falsche Gedanken kam. »Ihr habt noch geschlafen, da wollten wir euch nicht stören«, wandte sie sich an ihren Großvater, der lächelnd nickte und sich dann aus dem Schlafsack schälte.
»Meine Güte, was gäbe ich darum, noch einmal jung zu sein«, stöhnte er dabei.
Lillian bemerkte, dass Mr Caldwell den Spaziergang nicht so leicht nahm. Er bedachte Henare mit einem strengen, fast schon warnenden Blick, den dieser ernsthaft und unverwandt erwiderte. Immerhin hatten sie sich nichts zuschulden kommen lassen. Und warum sollte Henare auch …
Lillian schob den Gedanken rasch beiseite, bevor sie doch noch puterrot im Gesicht wurde, dann kehrte sie zu ihrem Lager zurück und begann, alles zusammenzupacken.
Nach einem kräftigen Frühstück und viel zu starkem Kaffee machten sie sich wieder auf den Weg. Anstatt sich aufzulösen, schien der Nebel immer dichter zu werden, je weiter sie ritten. Während Lillian versuchte, sich wieder den Bewegungen der Stute anzupassen, bemerkte sie, dass das Gelände allmählich ein wenig anstieg.
Nachdem sie noch eine halbe Stunde geritten waren, bedeutete Caldwell ihnen, dass sie anhalten sollten.
Wollten sie schon wieder eine Pause machen? Noch fühlte sich Lillian nicht besonders müde.
Der Grund für den Halt war allerdings ein anderer. »Wir sind jetzt auf Maori-Gebiet«, erklärte der Physiker. »Wahrscheinlich werden wir bereits von den Wächtern beobachtet. Diese Männer sind sehr vorsichtig und für das ungeschulte Auge kaum zu erkennen.« Damit blickte er zu Henare. Dessen Augen waren gewiss darin geschult, einen Maori im Busch zu erkennen, bevor dieser einen Speer nach ihnen werfen konnte. Doch Lillian konnte an ihm keinerlei Unruhe erkennen.
Dennoch ließ er seinen Arbeitgeber erst einmal weiterreden.
»Bitte vermeiden Sie alles, was die Maori als kriegerisches Tun auslegen könnten.«
»Und das wäre?«, fragte Lillian verwundert, denn bisher hatte sie nicht den Eindruck gehabt, dass sie etwas Kriegerisches getan hätten.
»Reden Sie nicht laut und regen Sie sich vor allem nicht auf. Wenn Sie es knacken hören, erschrecken Sie nicht. Diese Leute können Angst schon von Weitem riechen, und wenn etwas sie zornig macht, ist es Feigheit.«
Caldwells Blick schweifte zu Henare, der immer noch keine Miene verzog. Ohne Zögern lenkte er sein Pferd weiter und machte dann ein Stück vor ihnen halt. Plötzlich raschelte es neben ihnen im Busch. Während sich Lillian bezwang, keinen Schrecken zu zeigen, tauchten vor ihnen zwei Männer in langen Baströcken auf, über denen sie braune Jacken trugen. Die Speere in ihren Händen wirkten bedrohlich.
Das mussten die Wächter sein, von denen Caldwell gesprochen hatte. Einer trug einen Hut auf dem Kopf, der mit Federn geschmückt war. Seine rechte Gesichtshälfte war tätowiert. Das moko seines Kameraden war recht klein; offenbar genoss er in seinem Stamm noch kein besonders hohes Ansehen.
Sie sagten etwas, was Lillian nicht verstand, doch Henare stieg von seinem Pferd und ging zu ihnen. Kurz unterhielten sich die Männer, wobei die Wächter grimmige Gesichter und drohende Gesten zeigten. Henare blieb ruhig, blickte ihnen direkt in die Augen und antwortete mit fester Stimme.
Lillian schaute zu ihrem Großvater, der die Männer nicht aus den Augen ließ. Verstand er etwas von dem, was sie sprachen? Zu gern hätte sie ihn gefragt, doch sie war nicht sicher, ob die Wächter das als Bedrohung auffassen konnten. Also schwieg sie und wartete, bis die Maori ihre Unterhaltung beendet hatten.
Als es so weit war und sich die Männer zurückzogen, machte Henare kehrt und stieg wieder auf sein Pferd. Nachdem er Mr Caldwell zugenickt hatte, ließ dieser seinen Rappen wieder angehen. In gemäßigtem Schritt ritten sie an den Wächtern vorbei, die sie noch immer nicht aus den Augen ließen.
Erst als sie die Männer ein Stück weit hinter sich gelassen hatten, fragte Lillian: »Was wollten sie von Ihnen?«
»Wissen, was wir im Schilde führen. Und wohin wir wollen.« Täuschte sie sich, oder wirkte Mr Arana unruhig? Hatten die Wächter vielleicht noch etwas anderes gesagt?
»Und was haben Sie ihnen geantwortet?«
»Dass wir in friedlicher Absicht kommen und den Häuptling sprechen wollen. Eigentlich gehört es für Fremde dazu, ein Begrüßungsritual über sich ergehen zu lassen, wenn sie mit dem ariki reden wollen. Ich hoffe, ich kann Ihnen das ersparen.«
»Ist das denn
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