Der Rote Mond Von Kaikoura
Verabredung zurück? Ich habe Sie doch vorhin mit Mr Ravenfield an meinem Haus vorbeigehen gesehen.«
»Das war keine Verabredung!«, entgegnete Lillian, froh darüber, dass sie zu weit entfernt war, als dass Mrs Peters ihr die Lüge ansehen konnte. »Mr Ravenfield hatte nur eine Nachricht von meinem Großvater.«
Wahrscheinlich glaubte ihr die Nachbarin kein Wort. Aber das war Lillian egal, wenn sie nur wieder ging.
»Und jetzt wollen Sie zu ihm?«, fragte Mrs Peters weiter, die offensichtlich Lust auf ein kleines Schwätzchen bekommen hatte.
»Ja, Mrs Peters, und ich muss mich beeilen.«
»Ihm ist doch hoffentlich nichts passiert?«
»Nein, Mrs Peters, er möchte mir nur etwas zeigen.«
Lillian atmete erleichtert auf, als sich die Nachbarin verabschiedete und dann ihres Weges zog.
Nachdem sie aus dem Haus noch ein wenig Wegzehrung mitgenommen hatte, führte sie das Pferd durch die Gartenpforte. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, zur Baustelle zu reiten, doch in diesem Augenblick war sie einfach in rebellischer Stimmung. Bisher hatte ihr Großvater sie noch nie von etwas ausgeschlossen, doch vielleicht stimmte ja, was Ravenfield gesagt hatte. Vielleicht zog er es vor, Henare als seinen Assistenten zu beschäftigen …
Sei nicht kindisch, ermahnte sie sich selbst, als ihr schon Tränen in die Augen schießen wollten. Du kennst deinen Großvater, er würde dir das nie antun. Nicht, nachdem er dich selbst ausgebildet hat!
Wenn ich ihm erzähle, was Ravenfield gesagt hat, wird er Verständnis haben, dass ich gegen sein Verbot verstoßen habe. Vielleicht kann ich sogar ein paar Tage bei ihm bleiben, irgendeinen Platz im Zelt hat er doch sicher.
Eine ganze Zeit lang ließ sie die kleine Stute so schnell laufen, wie sie konnte. Mittlerweile hielt sich Lillian schon sehr gut im Sattel, was zweifelsohne an den Übungsritten lag, die sie in den vergangenen Tagen unternommen hatte. Immer, wenn die Abenddämmerung über der Stadt heraufgezogen war, war sie aus der Stadt zum Strand geritten, um zu beobachten, wie die Sonne hinter der grandiosen Kulisse der Berge versank. Auch jetzt neigte sich die Sonne immer weiter dem Horizont zu. Würde sie es noch vor Einbruch der Dunkelheit schaffen?
Allmählich wurde ihr klar, dass dies nicht der Fall sein würde. Der Ritt mit ihrem Großvater zur Baustelle hatte gut einen halben Tag in Anspruch genommen. Selbst wenn sie auf einem sehr schnellen Pferd reiten würde, würde sie die Baustelle erst nach Einbruch der Dämmerung erreichen.
Sich die Wegpunkte, die sie sich beim ersten Ritt gemerkt hatte, wieder ins Gedächtnis rufend, lenkte sie ihr Pferd schließlich in den Busch und versuchte, alle Geräusche um sich herum auszublenden. Der Gedanke, dass ihr vielleicht eine Maoriwache begegnen könnte, ließ ihren Puls für einen Moment in die Höhe schnellen, doch dann erinnerte sie sich wieder daran, dass auch beim ersten Ritt hierher niemand aufgetaucht war.
Während die Sonne immer weiter dem Horizont entgegensank und den Himmel mit einem roten Leuchten überzog, kämpfte sich Lillian durch das Gestrüpp. Und wenn ich mich verirre?, ging es ihr ein wenig furchtsam durch den Sinn, denn die Schatten wurden immer länger, und allmählich hatte sie das Gefühl, dass das Licht regelrecht vom Boden fortgesogen wurde.
Als sie von Weitem das Klopfen der Hämmer hörte, stieß sie ein erleichtertes Keuchen aus. Noch eine Weile preschte sie voran, dann brachte sie das Pferd dazu, langsamer zu gehen. Verstohlen spähte sie durch die Baumstämme, doch noch konnte sie nichts von der Sternwarte entdecken. Erst als sie ein Stück näher herangekommen war, erblickte sie das Gerüst, unter dem das Gebäude weiter gewachsen war. Hatte man noch vor zwei Wochen noch nicht so recht erkennen können, was es werden sollte, sah man jetzt deutlich, dass hier ein Turm aus dem Boden wuchs. Ein Turm, von dem aus man die Sterne beobachten würde.
Lillian stieg vom Pferd und band die Zügel an einem Baum fest. Dann ging sie ein paar Schritte auf die Baustelle zu und blickte fasziniert zu dem bereits jetzt recht imposanten Bau auf. Wie lange würde es dauern, bis die große gläserne Kuppel aufgesetzt werden konnte? Nach den Berichten ihres Großvaters wurde sie gerade in Blenheim von Spezialisten gebaut, von Leuten, die eigens von der Nordinsel eingeschifft worden waren.
Der Gedanke, durch das neue Teleskop in den nächtlichen Himmel blicken zu dürfen, ließ den Ärger mit Jason vollkommen in den
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