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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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egal, ob man ihn davon abhalten will. Und eigentlich hätte das Brett ja halten sollen.«
    »Ich werde herausfinden, wie es dazu kommen konnte. Wenn Sabotage dahintersteckt, werden die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen.«
    »Glauben Sie, dass jemand meinen Großvater auf diese Weise stoppen will?«, fragte Lillian erstaunt. »Bisher haben die Leute ihn nur für einen gutmütigen Spinner gehalten und belächelt. Warum sollten sie ihm etwas antun?«
    »Ich weiß es nicht«, entgegnete Henare, und etwas Finsteres schlich sich in seinen Blick. »Möglicherweise gibt es ja irgendjemanden, dem der Bau nicht gefällt.«
    Wer sollte das sein? Einer von Jasons Leuten etwa? Einige Männer mochten vielleicht ein Problem mit den Maori haben, aber ihr Großvater war ja kein Maori. Und dass die Maori selbst Interesse am Scheitern des Projekts hatten, konnte sie sich ebensowenig vorstellen.
    »Jedenfalls bin ich heilfroh, dass das Gerüst darunter ihn aufgefangen hat. Nicht auszudenken, wenn er den Abhang hinuntergestürzt wäre.«
    Ein eisiger Schauer kroch bei dieser Vorstellung an Lillians Rückgrat entlang. Wenn dem so gewesen wäre, hätte sie wohl jetzt ihren Großvater beweinen müssen, anstatt sich um ihn Sorgen zu machen.
    »Mein Großvater ist auch der Meinung, dass es nichts bringt, sich um Dinge zu sorgen, die nicht geschehen sind. Sein Schutzengel mag vielleicht einmal versagt haben, aber ein zweites Mal wird es nicht geschehen.«
    Henare sah Lillian eindringlich an. Bevor er allerdings etwas sagen konnte, tauchte hinter ihnen Dr. Corben auf.
    »Das Mittel, das ich Ihrem Großvater gegeben habe, wirkt. Er müsste jetzt ein paar Stunden schlafen.«
    »Vielen Dank, Herr Doktor.« Lillian reichte ihm die Hand und bemerkte erst jetzt, wie schwer ihre Glieder waren. Noch immer war die Anspannung da, doch während sie sich auflöste, verwandelte sie sich anscheinend in Blei, das sich in ihren Armen und Beinen festsetzte.
    »Nichts zu danken. Sollte Ihr Großvater Schmerzen haben oder irgendeine Veränderung an seinem Bein eintreten, die Ihnen nicht geheuer vorkommt, rufen Sie mich bitte. Ansonsten schaue ich morgen früh wieder nach ihm.«
    Lillian bedankte sich erneut und begleitete ihn dann bis zur Gartenpforte. Die Arbeiter, die ihren Großvater ins Haus getragen hatten, waren mittlerweile verschwunden; wahrscheinlich hatte Henare sie weggeschickt. Er selbst trat jetzt ebenfalls vor die Haustür.
    »Ich sollte jetzt gehen«, sagte er ein wenig verlegen. »Ihr Großvater braucht Ruhe und Sie auch.«
    Aus irgendeinem Grund, den sie selbst nicht kannte, war sie beinahe versucht, ihn zu bitten, noch ein Weilchen zu bleiben. Doch dann nickte sie und reichte ihm die Hand. »Vielen Dank für alles, Mr Arana. Wenn Sie mögen, besuchen Sie meinen Großvater doch morgen oder übermorgen, er wird sich freuen.«
    »Das mache ich«, versprach Henare, dann wandte er sich um und ging zur Gartenpforte.
    Während Lillian ihm nachsah, wünschte sie sich insgeheim, dass er sich umwenden und sie noch einmal ansehen würde. Doch der Maori schaute stur geradeaus, offenbar in Gedanken schon wieder bei der Baustelle oder einer Nachricht an Mr Caldwell, denn den musste er von dem Unfall ebenfalls in Kenntnis setzen.
    Die ganze Nacht über wachte sie am Bett ihres Großvaters. Ihre Lider waren mittlerweile ebenso schwer wie ihre Arme und Beine, doch ihr rasender Verstand hielt sie davon ab, sich einfach dem Schlaf zu ergeben. Auch wenn das Schmerzpulver, das der Arzt auf dem Nachttisch zurückgelassen hatte, gut wirkte und ihr Großvater tief und fest schlief, fand sie einfach keine Ruhe. Während sie sein Gesicht betrachtete, auf dem weitere Blutergüsse zutage getreten waren, gingen ihr allerlei schreckliche Bilder durch den Kopf. Sie hatte wieder den Tag vor sich, als ihre Eltern mit dem Zug verunglückt waren – die einzig greifbare Erinnerung, die sie von ihnen noch hatte –, und ohne es zu wollen, stellte sie sich immer wieder vor, wie ihr Großvater vom Gerüst stürzte.
    Als ihr die Bilder zu viel wurden, schüttelte sie den Kopf und erhob sich von ihrem Stuhl. Frische Luft, dachte sie. Ich brauche frische Luft, damit ich die Nacht überstehe. So leise, wie es auf den knarzenden Bodendielen möglich war, schlich sie nach draußen. Nur für ein paar Minuten, sagte sie sich, denn sie wollte ihren Großvater nicht aus den Augen lassen. Noch hatte sich nichts Ungewöhnliches getan, doch wenn er wach wurde, wollte sie an seiner Seite sein

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