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Der rote Planet

Titel: Der rote Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander A. Bogdanow
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gern
von
einem Produktionszweig zum anderen. Spezialisten und Künstler
werden
besonders oft Opfer ihrer Zerstreutheit: Sie denken an andere Dinge
oder grübeln über Probleme.«
    »Die Nervenkranken sind wohl vor allem wegen
überanstrengung hier?«
    »Ja, nicht wenige. Aber viele haben auch Krankheiten,
die aus
Ärgernissen und Krisen in Partnerschaften herrühren;
auch andere
seelische Erschütterungen, zum Beispiel der Tod eines
geliebten
Menschen, können eine Krankheit hervorrufen.«
    »Sind hier auch Geisteskranke mit getrübtem
oder verwirrtem Verstand?«
    »Nein, hier nicht, dafür haben wir eigene
Heilanstalten. Dort sind
besondere Vorkehrungen getroffen, weil ein solcher Patient sich oder
anderen Schaden zufügen könnte.«
    »Wendet man in solchen Fällen auch Gewalt
an?«
    »Wenn es unbedingt notwendig ist,
natürlich.«
    »Schon zum zweiten Male begegne ich Gewalt in Ihrer
Welt. Das erste
Mal war es in der Kinderstadt. Gelingt es Ihnen nicht, in Ihrem Leben
völlig ohne Gewalt auszukommen? Müssen Sie die Gewalt
zulassen?«
    »Ja, wie wir Krankheit und Tod dulden oder eine
bittere Medizin
nehmen müssen. Welches vernünftige Wesen
würde auf Gewalt zur
Selbstverteidigung verzichten?«
    »Das verringert die Kluft zwischen unseren Welten
beträchtlich.«
    »Der Hauptunterschied liegt gar nicht darin, dass es
auf der Erde
viel Gewalt und Zwang gibt auf dem Mars wenig. Vielmehr geht es darum,
dass bei Ihnen Gewalt und Zwang in Gesetze gekleidet werden, in
äußere
und innere Gesetze, in Rechtsnormen und moralische Regeln, die
über dem
Menschen stehen und ständig auf ihm lasten. Bei uns gibt es
Gewalt
entweder als Erscheinung einer Krankheit oder als vernünftiges
Vorgehen
eines vernünftigen Wesens. In keinem Falle werden daraus
verbindliche
Gesetze und Normen abgeleitet, niemand kann über einen anderen
Menschen
verfügen.«
    »Aber man hat doch Regeln geschaffen, um die Freiheit
von Geisteskranken oder Kindern einzuschränken.«
    »Ja, rein wissenschaftliche Regeln über den
Umgang mit Kranken und
Kindern. Freilich sind in diesen Regeln nicht alle Fälle von
unvermeidlicher Gewalt erfasst. Das hängt von den
Umständen ab.«
    »Dann ist trotzdem echte Willkür von seiten
der Erzieher, Ärzte und Krankenpfleger
möglich.«
    »Was bedeutet das Wort Willkür? Wenn es
unnötige, überflüssige
Gewalt bedeutet, ist sie nur seitens eines kranken Menschen
möglich,
der selber einer Behandlung bedarf. Ein vernünftiger und
bewusst
handelnder Mensch ist dazu natürlich
unfähig.«
    Nachdem wir Krankenzimmer, Operationssäle,
Medikamentenräume und
Wohnungen des Pflegepersonals besichtigt hatten, begaben wir uns in das
obere Stockwerk und gelangten in einen großen schönen
Saal, dessen
durchsichtige Wände den Blick auf den See, die Wälder
und die fernen
Berge freigaben. Der Raum war von herrlichen Statuen und Bildern
geschmückt, die Einrichtung war kostbar und erlesen.
    »Das ist das Sterbezimmer«, sagte Netti.
    »Bringen Sie alle Sterbenden hierher?«
    »Ja, oder sie kommen selber her.«
    »Können denn Ihre Sterbenden noch
laufen?« wunderte ich mich.
    »Wenn sie körperlich gesund sind,
natürlich.«
    Ich begriff, dass es sich um Selbstmörder handelte.
    »Sie stellen Selbstmördern diesen Raum zur
Verfügung, damit sie ihre Tat ausführen
können?«
    »Ja, und alle Mittel für einen friedlichen,
schmerzlosen Tod.«
    »Und das lassen Sie ohne weiteres zu?«
    »Warum sollten wir das nicht zulassen, wenn das
Bewusstsein des
Patienten klar und die Entscheidung unumstößlich ist?
Ein Arzt schlägt
dem Sterbewilligen natürlich vor, mit ihm zu sprechen. Manche
gehen
darauf ein, andere nicht.«
    »Ist Selbstmord sehr häufig?«
    »Ja, besonders unter alten Menschen. Wenn die
Erlebnisfähigkeit
abnimmt und abstumpft, ziehen es viele vor, nicht auf das
natürliche
Ende zu warten.«
    »Es dürfte doch auch vorkommen, dass unter
den Selbstmördern junge Menschen voller Kraft und Gesundheit
sind?«
    »Ja, das kommt vor, aber nicht häufig.
Solange ich im Krankenhaus
bin, gab es nur zwei solche Fälle. Beim dritten ist es
gelungen, die
Tat abzuwenden.«
    »Wer waren diese Unglücklichen, und was hat
sie zu dieser Tat getrieben?«
    »Der erste war mein Lehrer, ein bedeutender Arzt, der
die
medizinische Wissenschaft sehr vorangebracht hat. Seine
Fähigkeit, die
Leiden anderer Menschen mitzuempfinden, war
übermäßig entwickelt.

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