Der rote Planet
Liebesbeziehungen. Die beständig-sanfte
und gute Enno
entzog sich nicht meinem Begehren, hatte diese Nähe jedoch
nicht selber
gesucht. Sie beschloss nur, von mir keine Kinder zu haben. Ein Schatten
sanfter Trauer lag auf ihren Liebkosungen — den Liebkosungen
zärtlicher
Freundschaft, die alles erlaubt.
Der Winter breitete immer noch seine blassen Flügel
über uns aus —
der lange Marswinter ohne Tauwetter, Stürme und Schneeschauer,
ruhig
und starr wie der Tod. Wir verspürten beide kein Verlangen, in
den
Süden zu fliegen, wo zu dieser Zeit die Sonne wärmte
und die Natur ihre
bunten Kleider vorzeigte. Enno wollte nicht diese Natur, die zuwenig zu
ihrer Stimmung passte, und ich mied neue Menschen und neue
Umstände,
denn es hätte zusätzliche Mühen und
Anstrengungen gekostet, mit ihnen
vertraut zu werden und sich an sie zu gewöhnen. Ohnehin
näherte ich
mich zu langsam meinem Ziel. Geisterhaft-merkwürdig war unsere
Freundschaft — Liebe im Reich des Winters, der Sorge, der
Erwartung...
5. Bei Nella
Enno war schon in früher Jugend Nettis engste
Freundin gewesen, sie
erzählte mir viel von ihr. Einmal vernahm ich eine seltsame
Verbindung
der Namen Netti und Sterni, die mich stutzig machte. Als ich Enno
danach fragte, wurde sie verlegen.
»Netti ist Sternis Frau gewesen. Wenn sie Ihnen das
nicht gesagt
hat, hätte ich schweigen sollen. Ich habe offenbar einen
Fehler
gemacht, fragen Sie mich nicht weiter danach.«
Von diesen Worten wurde ich merkwürdig erregt. Mir
war jedoch, als
hätte ich nichts Neues erfahren. Ich hatte niemals angenommen,
Nettis
erster Mann zu sein. Es wäre ein unsinniger Gedanke gewesen,
dass eine
Frau voller Leben und Gesundheit, schön an Körper und
Seele, das Kind
einer freien, hoch entwickelten Gesellschaft, bis zu unserer Begegnung
auf Liebe hätte verzichten sollen. Woher rührte also
meine
Fassungslosigkeit? Ich wusste es nicht, sondern spürte nur
eines, dass
ich alles erfahren müsste, alles ohne irgendeinen Rest. Enno
danach zu
fragen war offenbar unmöglich. Da kam mir Nella in den Sinn.
Netti hatte beim Abschied gesagt: »Vergiss Nella
nicht, sie liebt
dich meinetwegen. Nella ist klug und erfahren, sie wird dir in schweren
Stunden beistehen!« Mehrmals wollte ich sie schon besuchen,
aber teils
hielt mich die Arbeit davon ab, teils die Scheu vor den vielen
neugierigen Kinderaugen. Nun war alle Unschlüssigkeit
verflogen, noch
am selben Tage war ich in der Kinderstadt.
Nella bat eine andere Erzieherin, sie zu vertreten, und
führte mich in ihr Zimmer, wo uns die Kinder nicht
stören konnten.
Ich hatte beschlossen, ihr nicht sogleich den Zweck meines
Besuches
zu offenbaren, da mir dieser Zweck weder besonders vernünftig
noch
besonders edel erschien. Es war natürlich, dass wir von dem
Menschen
sprechen würden, der uns beiden der nächste war, und
dann brauchte ich
nur einen passenden Moment für meine Frage abzuwarten. Nella
erzählte
mir mit mütterlicher Begeisterung viel von Nettis Kindheit und
Jugend.
Die ersten Lebensjahre hatte Netti bei ihrer Mutter verbracht,
wie
das bei den meisten Marsmenschen üblich ist. Als man Netti in
die
Kinderstadt bringen musste, um ihr nicht den erzieherischen Einfluss
anderer Kinder vorzuenthalten, konnte sich Nella nicht von ihrer
Tochter trennen. Sie wohnte anfangs im selben Haus, dann blieb sie
für
immer als Erzieherin in der Kinderstadt. Bei ihrem Beruf als
Psychologin bot sich das ohnehin an.
Netti war ein lebhaftes Kind, das energisch nach Kenntnissen
und
einer Tätigkeit verlangte. Die geheininisvolle Welt
außerhalb des
Planeten zog sie besonders an. Die Erde, die damals noch unerreichbar
war, und die unbekannten Menschen dort waren Nettis liebstes Thema,
darüber sprach sie oft mit anderen Kindern und mit den
Erziehern.
Als Mennis Bericht von der ersten gelungenen Erdexpedition
veröffentlicht wurde, war das Mädchen vor Freude und
Begeisterung außer
sich. Sie lernte Mennis Bericht auswendig und quälte Nella und
die
Erzieher damit, ihr jeden unbekannten Begriff zu erklären.
Netti
schwärmte für Menni, ohne ihn zu kennen, und schrieb
ihm einen
verzückten Brief. Darin flehte sie ihn unter anderem an, von
der Erde
ein Waisenkind mitzubringen, das sie dann erziehen wollte. Die
Wände in
ihrem Zimmer behängte sie mit Ansichten von der Erde und mit
Porträts
von Erdenmenschen, und sobald Wörterbücher irdischer
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