Der rote Planet
aus einer anderen Welt war, wurde die
Einsamkeit immer qualvoller.
Ich begab mich zu Enno, die ich lange nicht gesehen hatte. Sie
empfing mich wie einen nahen Verwandten, und mir war, als
hätte ein
heller Strahl der nahen Vergangenheit die Winterkälte und den
Nebel der
Sorge durchdrungen. Bald merkte ich, dass auch Enno blass war, sie sah
erschöpft und gequält aus, in ihrem Verhalten und in
ihren Worten lag
heimlicher Kummer. Wir hatten einander viel zu erzählen,
einige Stunden
vergingen für mich so unmerklich und schön, wie ich
es seit Nettis
Abflug nicht erlebt hatte.
Als ich aufstand, um heimzufliegen, wurde uns beiden traurig
zumute.
»Wenn Ihre Arbeit Sie nicht hier festhält,
kommen Sie doch mit«, schlug ich ihr vor.
Enno willigte sofort ein, sie nahm ihre Arbeit — zu
der Zeit
beschäftigte sie sich nicht mit Beobachtungen im
Observatorium, sondern
mit dem überprüfen gewonnener Daten —, und
wir flogen ins
Chemiestädtchen, wo ich allein in Mennis Haus lebte. Morgens
reiste ich
in meine Fabrik, die sich hundert Kilometer, das heißt eine
halbe
Flugstunde entfernt befand, und die langen Winterabende verbrachten
Enno und ich gemeinsam mit Gesprächen, Spaziergängen
und
wissenschaftlichen Arbeiten.
Enno erzählte mir ihre Lebensgeschichte. Sie war
mehrere Jahre
Mennis Frau gewesen. Obwohl sie sich leidenschaftlich ein Kind
wünschte, blieb ihr das Glück der Mutterschaft
versagt. Da wandte sie
sich an Netti um Rat. Netti untersuchte sehr gründlich alle
Umstände
und erklärte unwiderruflich, dass Enno keine Kinder bekommen
würde.
Menni hatte sich zu spät vom Kind zum Mann entwickelt, und er
hatte zu
früh das angespannte Leben eines Wissenschaftlers und Denkers
begonnen.
Die übermäßige Aktivität seines
Hirns hatte die Lebenskraft seiner
Keimzellen geschwächt und vernichtet, und das war nicht mehr
zu ändern.
Nettis Urteil war für Enno ein Schicksalsschlag. Bei
ihr vereinten
sich die Liebe zu dem genialen Mann und ein tiefer Mutterinstinkt zu
der nun aussichtslosen Sehnsucht nach einem Kind.
Die Untersuchungen hatten noch etwas anderes ergeben. Es
erwies
sich, dass für Mennis gewaltige geistige Arbeit, für
die volle
Entwicklung seiner genialen Fähigkeiten körperliche
Enthaltsamkeit,
möglichst wenig Liebeslust angeraten war. Enno konnte sich
diesem Rat
nicht verschließen und überzeugte sich bald, wie
richtig und vernünftig
er war. Menni lebte auf, arbeitete energischer als je zuvor, neue
Pläne
wurden mit ungewohnter Schnelligkeit geboren und besonders erfolgreich
ausgeführt, und offenbar vermisste Menni nichts. Enno, der
ihre Liebe
teurer war als das Leben, aber das Genie des geliebten Mannes teurer
als ihre Liebe, trennte sich von Menni.
Ihn betrübte das anfangs, aber bald fand er sich
damit ab. Der wahre
Grund der Trennung blieb ihm wohl verborgen. Enno und Netti schwiegen
darüber, wussten jedoch nicht sicher, ob Menni mit seinem
scharfen
Verstand die Ursache nicht doch erahnte. Für Enno erwies sich
das Leben
als so leer, das unterdrückte Gefühl bereitete ihr
solche Pein, dass
sie nach kurzer Zeit den Tod suchte. Wiederum wandte sie sich an Netti.
Um den Freitod zu verhindern, zögerte Netti unter
verschiedenen
Vorwänden ihre Unterstützung hinaus und
benachrichtigte Menni. Er
bereitete gerade die Expedition zur Erde vor und sandte Enno sogleich
die Einladung, an diesem wichtigen und gefährlichen
Unternehmen
teilzunehmen. Enno nahm das ehrenvolle Angebot an. Die vielen neuen
Eindrücke halfen ihr, den seelischen Schmerz zu
überwinden, und während
des Rückflugs zum Mars vermochte sie schon den Anschein des
fröhlichen
Jungen und Poeten zu erwecken, als den ich sie auf dem Sternschiff
kannte.
Zur Venus war Enno nicht mitgeflogen, weil sie
befürchtete, sich
erneut zu sehr an Menni zu gewöhnen. Aber die Sorge um sein
Schicksal
verließ sie nicht. Sie kannte die Gefahren des Unternehmens
nur zu gut.
An den langen Winterabenden kreisten unsere Gedanken und
Gespräche
ständig um einen Punkt des Weltalls: Unter den Strahlen einer
riesigen
Sonne, beim Atem eines sengenden Windes verrichteten die Menschen, die
uns am nächsten standen, ihr titanisches Werk. Die gemeinsamen
Gedanken
und Stimmungen brachten uns einander näher. Enno wurde
für mich mehr
als eine Schwester.
Gleichsam wie von selbst, ohne Leidenschaft und ohne
Kämpfe, führte
diese Nähe zu
Weitere Kostenlose Bücher