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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Zeugnis ablegte von einem erfahrungsreichen Leben. Wie ein Oberton schwang eine überirdische Zartheit in der an sich festen Stimme. Nun schob sie die Sorgen kurz zur Seite wie einen Schleier, während sie mich aufforderte, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Ich setzte mich lieber auf einen Stuhl. Sie goss derweil das heiße Wasser in die unansehnliche dunkelbraune Teekanne. Aus der Truhe holte sie eine zweite angeschlagene Teetasse aus Porzellan für mich.
    »Hier hatte die Prinzessin ihr Arbeitszimmer!«
    Die Erwähnung der erlauchten Vorbewohnerin geschah mit unverhohlenem Stolz und einer sehnsuchtsvollen Demut. Die Dame war Royalistin.
    »Sind Sie überhaupt von hier? Sie haben zwar keinen Akzent, aber ich wittere etwas in Ihrem Wesen ... Französin? Ihre hellblaue Militärjacke ... ? Passt recht gut zum Rosé Ihres Rockes und den dunkelroten Stickereien. Sind das Papageien? Ja, Papageien ...«
    Ich spürte das Lauernde in ihrer Stimme. Natürlich hatte mich die amerikanische Uniformjacke Jérômes verraten, die ich gegen die Kälte unterm Marder trug – der militärischen Rangabzeichen beraubt, versteht sich. Sie sah derfranzösischen ähnlich, war aber aus einem viel feineren Serge und von einem frischeren Blau. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, meinen richtigen Namen zu verschweigen, und nannte unseren Pariser Decknamen.
    »Gerardine Granget, Madame. Ich komme aus Berlin, aber mein Mann und ich ... wir lebten lange in Paris.«
    Bei der Erwähnung dieser Stadt schien für sie die Sonne aufzugehen
    »Sie auch? Wo haben Sie gewohnt?«
    Ich nannte ein paar Adressen, und ihre grünen Augen leuchteten. Jérôme und ich waren in wenigen Jahren ein halbes Dutzend Mal umgezogen. Ich hatte noch nicht viele Émigrés in Berlin gesehen, geschweige denn gesprochen, und die typische Vorsicht, die sie im Gespräch an den Tag legten und die sie so leicht erkennbar machte, noch nicht erlebt. Sie hatte mir ihren Namen bisher verschwiegen, und so wuchs meine Neugier.
    »Wir hätten einander begegnen können. Ich habe einmal nur wenige Straßen von Ihnen entfernt gelebt. Zuletzt, in den ersten Blutjahren ... im Palais Gironde. Aber allein ein Straßenzug bedeutet in Paris eine andere Welt.«
    Wie recht sie hatte.
    »Das Palais Gironde liegt in der Rue de la Harpe.«
    In diesem Augenblick wusste ich, welcher Art der abgedeckte große Gegenstand war. Mein Herz klopfte schneller, und ich fürchtete, sie würde meine Neugier spüren.
    »Sie sind Harfenistin! Ich hätte Sie in Paris spielen hören können!«
    Sie lächelte.
    »Das wohl eher nicht. Ich trat nur höchst selten vor bürgerlichem Publikum auf.«
    Also hatte sie, das verrieten ihre Andeutungen, in der Gunst von Versailles und der Salons gestanden!
    »Was wissen Sie über Harfen? Spielen Sie am Ende gar auch?«, fragte sie.
    Ich verneinte lachend.
    »O nein, Madame, wenn ich etwas ganz sicher nicht bin, dann musikalisch. Aber erzählen Sie mir doch bitte ein wenig über die Harfe!«
    Meine Gastgeberin, deren Tee erstklassig war, ganz im Kontrast zu ihrer prekären Wohnlage, ließ sich nicht zweimal bitten.
    »Ihre Majestät, die Königin von Frankreich, hat die Herzogin von Argenteuille als oberste Harfenmeisterin an den Hof gezogen, und diese brave Frau hat ein wahres Amazonenheer an Harfenspielerinnen ausgebildet. Ihre Majestät hat viel Geld investiert, um Kompositionen für die Pedalharfe zu fördern. Auch ließ sie vergessene ältere Stücke wiederbeleben, auf das Cembalo und die Harfe umschreiben und finanzierte aufwändige Editionen der herausragendsten Kompositionen aller Epochen!«
    »Ich bin sicher, dass Sie auch am hiesigen Hof Ihr Glück finden würden ...«, fühlte ich vor, doch sie schüttelte den Kopf.
    »Madame, träumen Sie nur ... Sie müssen doch zugeben, dass die Stimmung hier völlig gegen uns ist! Es scheint, als hätte man vergessen, dass wir Flüchtlinge das alte Regime verkörpern, dass wir königstreu und loyal sind und unser Heil nur deshalb in Berlin gesucht haben, weil es hier einst einen König gab, der den großen Voltaire zum Brieffreund hatte und alles Französische in den Künsten am meisten schätzte. Wo sonst hätten wir es wohl suchen sollen, unser Glück? Und jetzt behandelt man uns in dieser so viel gepriesenen Metropole wie Aussätzige, wie Staatsfeinde!«
    Das Thema wühlte sie auf, und sie musste nur einen Schritt vom Teetisch weg tun, um ihr Instrument zu enthüllen. Ichhatte richtig geraten und erblickte das große Wappen

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