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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Ich brauche diese kleine Sicherheit!«
    Nach den Jahren im Zentrum des Jakobinismus war ich vieles gewohnt. Das Tragen von Waffen gehörte unter Revolutionären zum guten Ton. Doch im friedrichstädtischen Ambiente erschrak ich wieder vor dem Anblick des kalten Schießeisens.
    »Madame! Das sieht martialisch aus ... Ich würde Ihnen ja sofort eine Wohnung bei uns anbieten, wenn wir mehr Platz hätten. Vielleicht kann meine Großmutter Ihnen ein anderes Domizil verschaffen?«
    »Sehr freundlich, meine Liebe, ich erwäge es. Aber für den Augenblick, denke ich, ist das hier eine bessere Versicherung. Sie ist mit Salz geladen, einem probaten Mittel gegen Geister! Hoffen wir auch, dass die Dämonen am helllichten Tage schlafen. Meine beiden Mädchen werden noch mit der Reinigung beschäftigt sein. Untote verabscheuen Salz, Reisig und geschäftiges Treiben. Kommen Sie!«
    So helllicht war der Tag gar nicht mehr. Er ging schon langsam zur Neige, als wir ins erste Obergeschoss hinabstiegen, wo fünf Türen bedrohlich auf einen düsteren Vorraum im Treppenhaus blickten. Eine war zweiflügelig, groß und schwer. Vier weitere waren kleiner, davon zwei ganz schmal: nachträglich eingebaut und zu höchst unterschiedlich geschnittenen Fragmenten des einstigen Wohnungsganzen führend. Beatrice de Grève nannte mir die Namen weiterer Hausbewohner:
    »Ganz links wohnen zwei Musiker des Hausorchesters der französischen Königin: der Violinist René Ballé und der Flötist Fréderic Bertrand.«
    Das Hausorchester bestand in ihren Gedanken noch immer, sonst hätte sie es anders formuliert. Violine und Querflöte – die beiden dunklen Vögel, die mir eingangs begegnet waren?
    »Die zwei Mauersegler von vorhin?«, fragte ich, und sie nickte.
    Halblinks hatte ein gewisser Amadé de Paul seine Zimmer, wie ich einem sorgsam gravierten elliptischen Messingschild entnehmen konnte.
Compositeur
stand unter dem Namen.
    »Monsieur de Paul lebt sehr zurückgezogen. Eigentlich weiß ich nicht genau, wann ich ihn zuletzt gesehen habe, es könnte schon Wochen her sein. Beim Konzert wohl ... Er beklagt sich mitunter lautstark über Lärm, sonst ist er derStillste im Lande. Er arbeitet an einer größeren Komposition, einer Kammermusik für Harfe und Klavier. Dies hindert ihn leider sogar daran, seine Miete pünktlich zu zahlen.«
    Das Erste, was mir auffiel, als wir durch die weit geöffneten Türflügel in den zentralen Saal der Mâconnais-Rambouillon’schen Wohnung gingen, war das spiegelnde Parkett. Es wirkte alles sehr gepflegt, und sowohl Wände als auch Decken waren in weit besserem Zustand als im Quartier der Hausherrin. An den Wänden prangte eine Bespannung aus roter geblümter Seide, und ein Stuckstreifen von gut einem halben Meter Breite leitete zur Decke über, an der ein gemalter Deckenspiegel diverse schwebende Engel und Wolken, Vögel und geflügelte Rosse zeigte. Der schwere Lüster, vollgehängt mit geschliffenen Kristallen, hatte vier Stockwerke aus vier, acht, sechzehn und zweiunddreißig Kerzen. Die Kerzen waren nicht heruntergebrannt. Wahrscheinlich würden sie nur bei Festanlässen angezündet. Nicht billig, das Ganze … Die wenigen Möbel im großen Raum waren ein riesiger Kleiderschrank, eine große Truhe, ein Regal mit Büchern, ein Schreibpult sowie ein langer Tisch mit sechzehn Stühlen.
    »Der Comte scheint über viel Geld zu verfügen … verfügt zu haben«, sagte ich.
    Ich fuhr an den Buchrücken entlang und warf einen schnellen Blick auf die Titel:
Die unsichtbare Loge
von Jean Paul, ein lateinisches Werk, dessen Verfasser Theologe gewesen sein musste:
Apocalypsis revelata
, desweiteren Titel, die mir nichts sagten:
Metempsyche
von Osiander,
Über die Seelenwanderung
von einem gewissen Schlosser, eine achtzehnbändige Geschichte der französischen Könige von François Comte d’Ornay sowie ein Band der
Causes célèbres et intéressantes, avec les jugemens qui les ont décidées
,die mir in Schillers Auswahl bekannt waren, und der
Geisterseher
in einem Privatdruck … Ich kannte nur eine Almanach-Veröffentlichung davon, denn das Werk war gar nicht vollständig erschienen. Der Verfasser hatte offenbar den Faden verloren oder die Lust oder beides. Der Rest der Sammlung war eindeutigen Inhalts. Die Titel sprachen für sich: Semlers
Sammlungen von Briefen und Aufsätzen über die Gaßnerischen und Schröpferischen Geisterbeschwörungen
, Balthasar Becker:
Crusius’Bedenken über die Schröpferischen

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