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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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meine Banknachbarn sah, verengten sich seine Pupillen. Er nickte ihnen zu. Dann hörte ich, schon im Hinausgehen, Distel sagen:
    »Herr Philippe Dampmartin?«
    Der kleine Dicke erhob sich.
    »Bitte kommen Sie herein! Herr Arrat? Sie müssen sich noch einen Augenblick gedulden!«
    »Der wilde Jean-Pierre Arrat ist auch hier ... Es wird immer bunter ...«, murmelte Jérôme.
    Unsere Schuhe knirschten im verharschten Schnee des Innenhofs.
    »Was hat er mit Anne de Pouquet zu tun?«, fragte ich naiv.
    »Nichts, nehme ich an«, sagte Jérôme. »Aber mit den zwei anderen sehr viel! Wenn es einen Mann gibt, dem ich die Bekanntschaft mit der Guillotine gewünscht hätte, dann ihm. Er ist ein Aufwiegler gewesen, übler als Danton! Die Hetze vor der Erstürmung der Gefängnisse geht zu drei Vierteln auf sein Konto. Die Sansculotten verehrten ihn wie einen Halbgott. Und er war ein Verfolger des revolutionsfeindlichen religiösen Glaubens in allen Spielformen. Aber die Jakobiner sind so zerstritten. Sie haben ihn auf Strafmissionen in die Provinzen geschickt. Er war ihnen zu revolutionär, das gibt’s auch, siehe Hébert ...«
    »Warum hat ihn Distel hierher bestellt?«
    »Weil er Mâconnais-Rambouillons erklärter Feind war, nehme ich an. Auch die franzosenfeindliche Behörde scheint über einen gewissen gesunden Menschenverstand zu verfügen.«
    Der Name Arrat und meine abseitigen Gedanken zuvor ließen mich mehr frösteln als die stählerne Witterung.
    »Weshalb zur Hölle ist Arrat Émigré?«
    Jérôme wiederholte genüsslich meine Worte:
    »
Zur Hölle
... Tja, warum ...
Zur Hölle
mit ihm und allen Irrlichtern dieser gottverdammten Revolution! Ich weiß es nicht. Er stand Jacques René Hébert nahe und veröffentlichte in Momoros
Journal des Cordeliers-Clubs
schon letztes Jahr deutliche Artikel gegen Robespierre. Er wurde als einer der Ersten öffentlich mit dem Tod bedroht. Aber er war nicht so leicht einzuschüchtern, hat unentwegt die Entscheidungen der Ausschüsse kritisiert. Er war in Rouen, in Malmaison, in St. Denis ... immer auf der Suche nach fanatischen Royalisten und anderen Revolutionsfeinden. Andere meinen, dass er sich hat kaufen und umdrehen lassen, dass er heimlich in den Kreisen der Hébertisten Informationen sammelte, die Robespierre beim Aufräumen halfen. Schwer zu erklären sonst, wie Arrat so lange dem Fallbeil entgehen konnte. Der ideale Doppelagent. Er kam zur gleichen Stunde mit Dampmartins Bruder hier an, ihre Namen standen untereinander in der Tagesfremdenliste. Vor zwei Tagen erst. Am achten Dezember.«
    »Und Mâconnais-Rambouillon?«
    »War schon länger da. Wie auch der erste Dampmartin. Zwei Monate? Ich muss gestehen, wenn mir auch die Émigrés gestohlen bleiben können, so liebe ich die Zugangslisten im
Journal
fast mehr als die Todesanzeigen ...« »Hast du eine Idee, was den Goldschmied und den vormaligen Abgeordneten zueinander geführt haben könnte?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht Geschäfte?«
    Er sah mich an, als ob ich ihn gebeten hätte, das Problem der Königsberger Brücken zu lösen, an dem schon andere fast verzweifelt wären. *
    In der Mohrenstraße erwartete uns das helle Chaos. Distels Schergen hatten in unserer Abwesenheit Haussuchung gehalten. Gipfel der Perfidie! Die aufgeräumte und warme Wohnwerkstatt war vom kalten, friedrichstädtischen Grausen heimgesucht worden, während man uns auf die Wache geschleift hatte. Marthe berichtete schluchzend, wie man sie zur Seite gedrängt und dann alles auf den Kopf gestellt hatte. Drei Gendarmen! Sie hatten die Schubfächer meines Sekretärs herausgezogen und den Inhalt auf den Boden ausgeschüttet, um dann alle Briefe mitzunehmen. Unterschiedslos! Es war unfassbar. Auch Jérômes gesamte Korrespondenz und seine Aufzeichnungen über Aeronautik waren aus seinem Arbeitszimmer verschwunden, die Bücher lagen wie Vögel mit geknickten Schwingen auf den Dielen, einzeln durchfleddert auf der Suche nach Geheimbotschaften. Man hielt sogar uns, die Verächter und Gegner des Pariser Terrors, für seine Agenten. Uns, die wir vielleicht bestimmt waren, zu seinen Exil-Opfern zu werden. Jérôme ertrug es mit einer mir schwer verständlichen Gelassenheit. Ich war verzweifelt und vergoss Tränen vor Wut, während ich neben Marthe die verstreuten kleinen Dinge aufsammelte, die in die entlegensten Winkel meines Zimmers gerollt waren. Eine winzige Rose aus Marzipan, die noch von meinem Urgroßvater stammte, war zertreten. Ein Spielpferd aus Ton,

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