Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
Vom Netzwerk:
das meine Kindheit heil überstanden hatte, war jetzt ohne Bein und Kopf ... Dieser schmerzhafte Anblick führte mir den Ernst der Lage vollends vor Augen. Ich durfte nicht länger warten!
    »Wir sollten uns wirklich endlich einmal in die Salons der Émigrés begeben!«, schlug ich vor. »Ich muss mehr über Anne de Pouquets Kontakte herausfinden. Und über diese ganze vorzeitliche französische Welt im Berliner Exil. Mein Gott, wir waren doch auch in diesem Wespennest. Wiewenig haben wir mitbekommen von dem, was im Untergrund des Untergrundes brodelte ...«
    Er seufzte, ganz und gar nicht beglückt. Jérôme hasst Gesellschaften und wünschte sich schon damals sein kleines verwunschenes Elternschloss bei Rouen zurück.
    »Liebste, du fängst doch nicht wieder mit dem Kriminalisieren an? Willst du nicht endlich den Revolutions- und Antirevolutions-Plunder vergessen? Preußen ist vorsintflutlich, sicher. Aber es hat den Vorteil, dass man hier mit etwas größerer Wahrscheinlichkeit seinen Kopf behalten kann, wenn man aufpasst.«
    »Kriminalisieren? Ich? Wie kommst du denn darauf?«, sagte ich. »Ich denke nicht im Traum daran!«
    Dass die Gewalt auch hierher kam, dass sie uns folgte, war so offensichtlich wie nur irgendetwas. Die drei Toten hatten uns diese Erkenntnis aufs Allerschmerzlichste beigebracht.
    Aber ich wollte mich nicht verkriechen. Wenn es ernst würde, musste ich wenigstens wissen, woran wir waren. Verfolgte man uns Revolutionsflüchtlinge nun bis in die Wohnstube? Ich hasste es schon, wenn mich preußische Polizeichefs dort heimsuchten. Auf Jakobineragenten, die mit Schlingen auf uns warteten, konnte ich gut und gerne verzichten!
    * Tom Wolf: Kristallklar. Mord à la carte
    * Tom Wolf: Purpurrot. Tödliche Passion

3
    Ich sagte Jérôme nicht, was ich vorhatte, als ich mich am nächsten Tag, am Mittwoch, dem elften, zum Tatort begab. Thedens Wort von der
Spukvilla Amalies
ließ keinen Zweifel zu: So hieß im Volksmund das schlossartige Palais, welches der Soldatenkönig gegen Ende seines Lebens für den Baron Vernezobre de Laurieux hatte errichten lassen. Nach dessen Auszug und dem seiner letzten Nachkommen war es zu Prinzessin Amalies Sommerresidenz geworden, die es muffig-plüschig ihren Verwandten hinterlassen hatte, von denen es, so rasch es ging, weiterverkauft worden war. Dem Geheimrat Stötzer hatte es gehört, eine Weile leer gestanden, bevor es häufiger den Besitzer wechselte als den Anstrich.
    In der Friedrichstadt kursierten bald Gerüchte, die immer auftauchen, wenn ein großes Haus zu verwahrlosen beginnt. Man munkelte etwa, dass der alte Groth, ein einstiger Diener, den man im großen Salon am großen Kronleuchter hängend gefunden hatte, noch immer im Gemäuer umgehe ...
    Von der Wilhelmstraße führte ein Trampelpfad durch geknickte, schneeüberzuckerte Brennnesseln zu dem dreigeschossigen Kasten, der nun den traurigen Anblick einer maroden Mietskaserne bot, in der sich das alte Frankreich eingenistet hatte. Die seitlichen Wirtschaftsgebäude waren verfallen, und das Hauptgebäude wies nur im ersten Obergeschoss noch durchgängig bewohnbare Räume auf, darunter und darüber wohnte der Schwamm allein.
    Eingeworfene und teils mit Holz vernagelte Fenster zierten die Fassade im zweiten Obergeschoss, wo die ockergelbe Tünche in dicken Blättern abfiel. Der Dachstock schien völlig unbewohnbar.
    Das Dach sah durchpflügt aus. Einige Buckel deuteten auf verquollene Balken hin. Hie und da fehlten die Schindeln gleich im Dutzend. Die Mansardenfenster gähnten wie die Augen eines Totenschädels, und von der Balustrade, die einst wohl rundherum gelaufen war, zeugten bloß noch ein paar Stempel und eine ramponierte große steinerne Vase. Hier vor dem mitleiderregenden Bau nach interessanten Fußspuren zu suchen, wäre lächerlich gewesen: Alles war zertrampelt.
    Einmal umkreiste ich das Palais, wobei ich feststellen musste, dass der einst so akkurat gepflegte Park auf der Rückseite zu einem verwahrlosten Streifen Niemandsland geworden war: nichts als Wiese und ausgewachsener, durch Holzfällerarbeit grob gelichteter Urwald.
    Hinter welchen der vielen Fenster hatte sich die Tragödie wohl abgespielt? Die hintere Tür war verschlossen. Ich ging wieder nach vorn. Zwei düstere Gestalten, eine groß, eine klein – mit Instrumentenkoffern, einer groß, einer klein –, kamen aus dem Haus und sprangen etwas täppisch an mir vorbei. Sie sahen mich wohl, grüßten eilig.
    Noch während ich den beiden

Weitere Kostenlose Bücher