Der rote Tod
mich zu rühren.
Lieber Gott, Nora, was hast du mir angetan?
KAPITEL
11
Zauber des Lebens. So hatte es Mrs. Poole genannt, als sie ein paar Tropfen Rinderblut auf Noras Lippen fallen ließ.
Daraus konnte ich zumindest schließen, dass es glücklicherweise keine Notwendigkeit gab, irgendeine unschuldige Dame zu verführen oder überfallen, um mich zu ernähren. Nach all der Zeit mit Nora wusste ich es besser. Das Trinken von Blut eines anderen Menschen hatte für sie eine vollkommen andere Bedeutung als nur ihren Körper zu ernähren, obwohl auch das eine Rolle spielte. Aber ich war noch nicht im Entferntesten bereit, mich den Komplikationen dieses Aspekts meines veränderten Wesens zu stellen. Wie tausend andere Dinge konnte dies bis später warten.
Mit einem Seufzen, das entweder Resignation oder Akzeptanz bedeuten konnte, kam ich auf die Beine und öffnete das Tor gerade weit genug, dass ich durchschlüpfen konnte. Die Erschöpfung, die ich schon zuvor gespürt hatte, war nun viel ausgeprägter. Nachdem sie sich zuerst in meinen Knochen manifestiert hatte, hatte sie sich nun bis zu den Muskeln ausgebreitet und weiter nach außen, um nun an meiner Haut zu zerren. Ich konnte mich hinlegen und ausruhen, aber wusste, dass das nicht helfen würde. Jeder Moment, den ich weiterlief, nahm mir ein wenig meiner Kraft. Schließlich würde die Zeit kommen, dass keine mehr übrig blieb. Ich schleppte mich mühsam den Weg zum Haus entlang, mit hängenden Schultern und geneigtem Kopf, um zu sehen, wohin meine Füße wanderten.
Aber mein Verstand war hellwach und benötigte Ablenkung vom Körper. Nicht in der Lage, Fragen über meine unmittelbare Zukunft zu beantworten, verfiel ich in Spekulationen über eine Vergangenheit. Ohne jeden Zweifel war ich wie Nora geworden, aber was – und ich gebrauchte das Wort in seinem buchstäblichen Sinn – war Nora? Zu was war ich geworden?
Höchstwahrscheinlich nicht zu einem Geist, schloss ich sarkastisch, nicht, wenn Geister keinen Hunger verspürten. Auch hegte ich Zweifel, dass sie sich viele Gedanken darüber machten, ob Straßenstaub den Glanz ihrer besten Schuhe auf Dauer verdarb. (Ja, das war eine ziemlich närrische Art der Ablenkung, aber in meinem unsteten Geisteszustand brauchte ich das.) Ohnehin hatte ich nie wirklich an Geister geglaubt, seit ich ein Kind war. Und selbst da waren solche Ausfälle der Vernunft auf neblige Nächte beschränkt gewesen, in denen die durch Meeresnebel verdichtete Atmosphäre zu Vorstellungen von übernatürlichen Wesen verleitet hatte.
Dann vielleicht ein Dämon? Da ich an Gott glaubte, wusste ich, dass es auch einen Teufel gab. Hatte irgendein Unhold aus der Hölle meinen Geist und meinen Körper übernommen, indem er mich aus dem Grab geholt hatte, um der Welt Unheil zu bringen? Das schien ebenfalls nicht besonders wahrscheinlich zu sein. Davon abgesehen hatte ich keine Schwierigkeit damit gehabt, Gott um Hilfe anzurufen, als ich in Panik geraten war, während ich gefangen war in – Wie war ich aus diesem ... diesem verdammten Sarg entkommen? Für jede andere Veränderung an mir hatte ich irgendeine Erinnerung an Nora, die als Muster dienen konnte, dem ich folgen konnte, aber dies war die einzige Ausnahme. Es gab keine Erinnerung an das, was passiert war. Der Moment war durch schweres und bitter schmeckendes Entsetzen für immer ausgelöscht, das trotzdem machtvoll genug war, um ein Stöhnen in mir entstehen zu lassen und mich zum Schaudern zu bringen ...
Wenn ich mich weiterhin meiner Furcht ergab, würde ich nie etwas lernen.
Ich straffte meine Schultern und zwang mich dazu, mit dem Zittern aufzuhören. Ich schob die Furcht entschieden beiseite, zwar unbeholfen, aber ich war in der Lage, sie zu kontrollieren, wenn ich mich darauf konzentrierte. So verlockend, wie es auch war, einfach auf die Knie zu sinken und zu heulen wie ein Kind, würde ich diesem Drang diesmal nicht nachgeben. Es gab zu viel, über das ich nachdenken musste.
Ich schüttelte ein letztes Mal den Kopf, um die Überbleibsel dieses Dranges zu beseitigen, atmete tief durch, und dann war ich wieder Herr meiner selbst und nicht ein Sklave äußerer Zwänge oder innerer Unruhe. Gemessen an dem Rest der weiten Welt war das vielleicht nicht viel, nur ein kleiner Sieg, aber es war meiner, und er war mir sehr wichtig.
Das war besser. Ich setzte meinen Gang zum Haus fort.
Nun würde ich versuchen müssen, Abstand von dieser Erfahrung zu gewinnen. Ein Arzt musste das
Weitere Kostenlose Bücher