Der rote Tod
Zeit überhaupt nicht.
Leer, leer und leer. Die kleinen Schätze, die aus meiner Kinderzeit übrig geblieben waren, zu wertlos, als dass sie ein vernünftiger Mann aufbewahren würde, zu wertvoll, um sie wegzuwerfen, waren verschwunden.
Sogar mein privates Tagebuch, Besitzer all meiner Gedanken ... fort.
Dies war der letzte Strohhalm.
Langsam öffnete sich die Tür zu meinem Zimmer. Elizabeth stand dort, ein Umhängetuch über ihre Nachtkleidung geschlungen und eine Kerze in ihrer zitternden Hand. Sie schaffte es, gleichzeitig unsicher und entsetzt zu wirken.
Ich war noch zu unempfänglich für andere Dinge, um vernünftig zu sein.
Jeder Gedanke, alle Überlegungen über das, was passiert war, waren aus meinem Kopf verschwunden. Mit einem Gefühl, das ich als gerechten Zorn empfand, drehte ich mich zu ihr um. »Verdammt, Elizabeth, wo sind meine Sachen?«
Meine Schwester war zweifellos durch den Lärm herbeigelockt worden, den ich gemacht hatte. Es war für mich ein normaler Anblick, sie hier zu sehen. War sie nicht in der Vergangenheit zahllose Male für ein nächtliches Gespräch hergekommen bevor sie zu Bett ging?
In der Vergangenheit. Der Vergangenheit, bevor ich gestorben war.
Sie war erstarrt, stocksteif, festgewurzelt am Boden durch das Unvorstellbare, paralysiert durch das Undenkbare. Ihre großen Augen waren verzweifelt und hohl. Kein Laut drang aus ihrem offenen Mund. Sie schien überhaupt nicht zu atmen, und trotz des warmen Glühens ihres kleinen Lichtes war ihre Haut unglaublich aschfahl.
Ich erstarrte ebenfalls, zuerst überrascht über ihre Miene, dann schockiert über meine eigene grenzenlose Dummheit, als mir verspätet klar wurde, dass ich ganz sicher Gottes größter Dummkopf war.
Reumütig streckte ich meine Hand nach ihr aus. »Es tut mir Leid. Ich ...«
Sie wich einen Schritt zurück, und ihre Lippen öffneten sich zu einem Schrei, den ertönen zu lassen sie zu erschrocken war. Nie zuvor hatte ich auf irgendeinem Gesicht einen Blick so reinen Schreckens gesehen, am wenigsten bei meiner eigenen Schwester. Bedauern wallte in mir auf und erstickte meine Stimme.
»Bitte hab keine Angst. Ich bin kein Geist. Oh, bitte, Elizabeth.«
Sie ließ ihre Kerze fallen. Die winzige Flamme verlosch während des Fallens. Die Kerze schlug dumpf auf dem Boden auf. Geschmolzenes Wachs verteilte sich auf dem lackierten Holzboden. Sie wich mit einem sanften Oh noch einen Schrittweiter zurück.
»Um Gottes willen, Elizabeth, bitte verlass mich nicht. Ich brauche dich.«
»Nein«, flüsterte sie schließlich mit hoher, tränenerstickter Stimme.
Oh, der Unmöglichkeiten waren Legion. Ich hatte die Zeit gehabt, einer nach der anderen zu begegnen, mich daran zu gewöhnen, sie zu akzeptieren; die arme Elizabeth musste das alles auf einmal schaffen.
»Alles ist in Ordnung. Ich bin real. Ich ...«
»Was willst du?« Ihre Stimme war so dünn, dass ich sie kaum hörte. Sie schien kurz davor zu stehen, sich loszureißen und wegzulaufen.
Mein Herz brach für sie, für mich selbst. Ich konnte fühlen, wie es in zwei Teile zerbrach. »Ich will nach Hause kommen.«
»Das kann nicht sein.«
Es musste – oder ich war für immer verloren. Ich brauchte meine Familie, mein Zuhause, sie waren alles, was ich hatte, ohne sie war ich wahrhaft tot. Ich konnte nicht weitermachen ohne sie. Das Unmögliche musste möglich werden.
Meine Hand immer noch ausgestreckt, bewegte ich mich langsam auf sie zu, nah genug, um sie zu berühren, aber sorg fältig darauf bedacht, es nicht zu tun. »Es ist in Ordnung. Ich bin hier. Ich bin real. Du brauchst keine Angst zu haben, ich würde dich nie, niemals verletzen. Bitte ...«
Vielleicht waren es eher die Seelenqualen als die unzulänglichen Worte, die den Weg zu ihr fanden, aber etwas in ihrem Inneren schien zu erwachen. Ich erkannte eine graduelle Veränderung in ihrem Gesicht. Nun wanderten ihre Augen zu meiner zitternden Hand, und mit schmerzhafter Vorsicht hob sie ihre eigene, um nach ihr zu greifen. Unsere Finger berührten sich sanft. Ich blieb still und wartete darauf, dass ihre Gedanken ihre Gefühle einholten.
»Jonathan?«
»Ich bin genau hier. Ich bin kein Traum.« Ich umfasste ihre zögernden Finger leicht, indem ich die ganze Zeit fürchtete, sie würde sich mir entziehen, aber ich war unfähig, aufzuhören. Aber sie zog sich nicht zurück, und nach einem langen Moment wurde ihr eigener Griff fester. Mir der Bewegung kaum bewusst, sank ich auf die Knie, ehrfürchtig
Weitere Kostenlose Bücher