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Der rote Tod

Der rote Tod

Titel: Der rote Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pat N. Elrod
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ich verstand, dass Vaters Rat sehr weise gewesen war, mit dieser Fähigkeit sparsam umzugehen.
    Roddy gaffte: »Was ...«
    »Kümmere dich nicht um ihn. Ich bin hergekommen, um mit dir zu sprechen.«
    Er erhob sich, wobei seine Ketten leise klirrten. An seinen Handgelenken erkannte ich aufgeriebene Stellen, und sein Gesicht sah schmutzig und abgespannt aus. Seine Augen waren fast so leer wie die von Andrews, aber aus einem anderen Grund. Unter dem Schweiß und dem Schmutz und dem schweren Miasma menschlicher Ausscheidungen konnte ich klar seinen Angstschweiß riechen. »Über was sprechen?«, fragte er. Seine Stimme hatte einen teilnahmslosen Klang.
    »Darüber, was mit mir passiert ist.«
    Er schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich war's nicht, das war Nathan. Un' das tut mir auch Leid.« Er deutete auf meinen Arm.
    »Das meine ich nicht. Ich will über das sprechen, was am Kessel passiert ist, als die Soldaten wegen der Pferde hinter euch her waren.«
    »Das war'n unsere Pferde. Das war nich' richtig, wie die se genommen haben.
    Ich hab' nur versucht, se für Dad wiederzuholen.«
    »Ja, und du ... hast einen Mann getötet, als du das getan hast.«
    »Was? Ich hab' niemand getötet.«
    Sein Protest war so ehrlich, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurückwich, bis mir klar wurde, dass er unter dies en Umständen jede Anschuldigung zurückweisen würde, ganz besonders die, einen Mord begangen zu haben.
    »Doch, du hast es getan, Roddy. Das weiß ich. Alles, was ich jetzt wissen möchte, ist, warum.«
    »Du bis' bekloppt«, stellte er fest, wobei er so störrisch aussah, dass man ihn für seinen jüngeren Bruder hätte halten können.
    Wir konnten die ganze Nacht so weitermachen, aber ich sah darin keinen Nutzen. Das wäre nur vergeudete Zeit. »Sieh mich an, Roddy, und hör mir zu ... Erinnerst du dich an den Tag, an dem du die Pferde von den Soldaten zurückgeholt hast?«
    »Ja«, sagte er mit einer Stimme, die so flach und leblos war wie seine Miene.
    »Du standest am Rande des Kessels, und du hast hinübergeblickt, und du musst mich gesehen haben.«
    »Nein.«
    »Du hast mich gesehen, und du hast dein Gewehr erhoben und mich erschossen.«
    »Nein.«
    »Du hast es getan, ich habe gesehen, wie du es getan hast, Roddy.«
    »Nein.«
    Verdammnis. Wie konnte er in diesem Zustand nicht die Wahrheit sprechen? Er war so sehr von seinem eigenen Willen abgeschnitten; es konnte einfach nicht sein, dass er log. Ich war so frustriert, dass ich an einem Punkt angelangt war, an dem ich fast versucht hätte, es aus ihm herauszuschütteln, bis ein einfacher, kleiner Gedanke in meinem Verstand zuckte wie ein Blitz bei einem Sommergewitter am Horizont. Seit ich in dieser verdammten Kiste aufgewacht war, hatten mich tausend Zerstreuungen beschäftigt gehalten und verhindert, dass ich das sah, was eigentlich offensichtlich hätte sein müssen. In all der Zeit seiner Gefangennahme hatte ich mich kein einziges Mal gefragt, warum ausgerechnet Roddy keine Überraschung über meine wundersame Rückkehr von den Toten gezeigt hatte. Ich hatte auf die andere Seite des Kessels geblickt und ihn erkannt, und seine Augen waren scharf genug, dass er mich ebenfalls erkannt hatte.
    Oder ich hatte vielmehr gedacht, ich hätte Roddy erkannt.
    Nathan Finch. Ich hatte ihn seit drei Jahren nicht gesehen. Er war in dieser Zeit sicherlich erwachsen geworden, und aus einiger Entfernung ... hatte ich ihn für seinen Bruder gehalten.
    »Nathan hat diesen Mann erschossen, oder nicht, Roddy?«, fragte ich ihn müde.
    »Hab' ihm gesagt, er hätte das nich' tun sollen«, erwiderte er.
    Ich senkte meinen Kopf, stöhnte und wünschte mich an einen Ort, wo es keine Soldaten oder Gefängnisse oder Schafotte gab.
    » Warum? Warum hat er das getan?«
    »Die ha'm nach uns gesucht, un' Nathan hat gesagt, dass dieser Kerl in der Jacke ihr General sein muss un' dass es unsere Probleme lösen würde, wenn wir ihn erschießen. Die würden aufhören, uns zu jagen, un' stattdessen nach ihm gucken, un' das haben se getan.«
    »Jacke?«
    »Eine schöne rote Jacke mit Litze, hat er gesagt, als ob er General Howe sein wollte. Also hat Nathan ihn erschossen.«
    Genauso, wie ich ihn für einen anderen gehalten hatte, hatte Nathan mir seinerseits diesen Gefallen erwiesen.
    Ich konnte eine lange Zeit nicht sprechen. Es war absurd und schrecklich und idiotisch und unglaublich traurig.
    Es war die Wahrheit.
    Die ganze Nacht hätte vergehen können, während ich ins Nichts

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