Der rote Tod
aufgeregt, aber wir müssen mehr als das vorweisen. In der Öffentlichkeit war ihr Benehmen stets über jeden Tadel erhaben.«
»Aber wir haben hier eine ganze Menge Zeugen für das Gegenteil.«
»Was als unerfreuliche, heftige Auseinandersetzung inner- halb einer Familie abgetan werden würde. Kein Gericht würde zu unseren Gunsten entscheiden ...«
»Aber als ihr Ehemann bist du doch sicher in der Lage, etwas zu tun.« Ich konnte nicht verhindern, dass sich ein weinerlicher Ton in meine Stimme einschlich.
Vaters Gesicht verdüsterte sich, und gewaltsam schluckte er seinen Ärger hinunter. »Jonathan, es gibt ein paar Dinge, die ich nicht tun werde, nicht einmal für dich. Eins dieser Dinge ist die Bloßstellung meiner Ehre. Den Weg zu verfolgen, den du vorschlägst, würde genau das bedeuten.«
Ich senkte die Augen, mein Gesicht glühte. Zum zweiten Mal an diesem Tag stotterte ich eine Entschuldigung, nur diesmal meinte ich, was ich sagte.
Er nahm sie sogleich an. »Ich verstehe ganz genau, was du fühlst. Das Leben ist nicht gerecht, aber das heißt nicht, dass wir nicht das Beste aus dem machen können, was das Schicksal – oder deine Mutter – uns auferlegt.«
Ein schwacher Trost, fand ich.
Der Morgen nach diesen Gesprächen kennzeichnete die offizielle Eröffnung von Elizabeths stiller Kampagne gegen Mutter. Wir standen früh auf und gingen früh zur Kirche. Sie hatte es geschafft, sich seit dem Konflikt aus Mutters Gesichtsfeld fern zu halten, aus Angst, Mutter könne sie davon abhalten, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, wenn sie das Ausmaß des Schadens sah. Das Kleid, das Elizabeth trug, war wegen seiner Farbe sorg fältig ausgesucht worden, ihre voll entwickelten Blutergüsse brutal zur Geltung zu bringen. Sie machte keine Anstalten, sie zu verbergen. Da sie einer der Lieblinge der Frauen unseres Dorfes war, wurde sie fast sofort, als sie aus dem Wagen stieg, von einer Gruppe besorgter und neugieriger Frauen umringt. Während ich den Fahrer nach Hause zurückschickte, um den Rest der Familie zu holen, nutzte Elizabeth die Zeit auf exzellente Weise.
Ich missbilligte immer noch, was sie tat, aber da sie die reine Wahrheit erzählte, hatte ich keine Schwierigkeiten damit, sie zu unterstützen. Als der Wagen erneut heranrollte und Mutter, Mrs. Hardinbrook, Beldon und Vater ausstiegen, war die Atmosphäre aus gieriger Neugierde, gemischt mit Abscheu, fast so dick wie der Morgennebel. Durch ihre Gäste abgelenkt, bemerkte Mutter es nicht. Einige Nachzügler, die die Geschichte noch nicht gehört hatten, kamen herüber, um Mutter zu begrüßen und ihre Freunde kennen zu lernen, aber sobald diese sich von ihnen trennten, nahmen sie ihre Nachbarn beiseite, um ihnen vertraulich etwas zuzuflüstern. Wenn Mutter schon die subtile Änderung in den Leuten um sie herum nicht bemerkte, Vater tat es sehr wohl. Aber was auch immer er vermutete oder wusste, er behielt es für sich.
Irgendwie überstanden wir den Gottesdienst und kehrten nach Hause zurück, während ich über meine Enttäuschung nachgrübelte und Elizabeth über ihren ersten Triumph. Sie strahlte nur so vor Genugtuung, als ich sie in der Bibliothek fand. Dieser Ausdruck erhielt einen deutlichen Dämpfer, als sie aufblickte und den Ausdruck auf meinem Gesicht las. Da ich mich nicht aufdrängen wollte, hatte ich meine Neuigkeiten oder den Mangel daran, den ganzen Morgen für mich behalten.
»Sie wollte dich nicht anhören, oder?«, fragte sie, ganz Mitleid.
Ich warf mich auf einen Stuhl. »Ich glaube nicht, dass sie weiß, wie das geht. Ich habe mit Vater geredet, aber es ist hoffnungslos. Er wird nichts tun.«
»Bist du nicht böse auf ihn?«
»Nein, natürlich nicht. Wenn er helfen könnte, würde er es tun. Ich werde gehen müssen.«
»Dann wünschte ich, ich könnte mit dir kommen.«
»Das wünschte ich auch, aber du weißt, was Mutter darüber denken würde.«
»Etwas Schlimmes«, stimmte sie zu. Wir verstummten für eine Weile. »Was wirst du in Cambridge tun?«
»Mich elend fühlen, da bin ich sicher.«
»Das ist so eine lange, lange Zeit. Wenn du zurückkommst, wirst du ganz erwachsen sein. Wir werden dich gar nicht wieder erkennen.«
»Meinst du, ich werde mich so sehr verändern?«
»Vielleicht nicht, kleiner Bruder. Aber ich bin einfach selbstsüchtig.«
»Tatsächlich?«
»Was soll ich mit mir anfangen, wenn du weg bist?«
»Wirst du mich etwa vermissen?«, neckte ich sie sanft.
»Natürlich werde ich dich vermissen«,
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