Der Rote Wolf
gebliebene Stäbe und Leisten ein. Schließlich befüllte sie den Ofen mit den Sachen, die am nächsten Tag gebrannt werden sollten, und ließ auf der obersten Schiene noch etwas Platz für die Freitagsgruppe.
Sie blieb in der Tür stehen und lauschte in die Stille hinein. Wie immer donnerstags war sie die Letzte. Der Kurs in Aquarell maierei und der Segelscheinkurs waren bereits gegen halb zehn zu Ende gewesen. Sie zog sich die Straßenschuhe an, schlüpfte in den Mantel, machte die Tür hinter sich zu und schloss sie mit einem rasselnden Schlüsselbund ab. Der Korridor, der vor ihr lag, war nur schwach erleuchtet und voll dunkler Schatten.
Sie mochte die Dunkelheit nicht. Bis zu jenem Erlebnis auf dem Fliegerhorst hatte sie ihr nichts ausgemacht, doch seither verfolgten sie die Schreie und die Flammen und machten die Nacht zu etwas Bedrohlichem.
Sie ging am Töpferraum, der Schreinerei und der Modelleisenbahn vorbei, erreichte das Ende des Korridors und stieg vorsichtig die knarrenden Treppenstufen hinab, vorbei an Cafeteria und Bibliothek. Sie kontrollierte alle Türen, sie waren abgeschlossen.
Wie immer bei großer Kälte klemmte die Haustür ein wenig. Mit einer Kraftanstrengung und einem Stöhnen gelang es ihr schließlich doch, sie hinter sich zu schließen. Erleichtert schloss sie ab. Ehe sie die spiegelglatten Stufen zur Straße hinabging, atmete sie tief durch. Bei jeder Vorstandssitzung schlug sie vor, die Treppenstufen bei Eisglätte mit Sand zu bestreuen, und jedes Mal wurde ein entsprechender Beschluss gefasst und der Hausmeister davon in Kenntnis gesetzt.
Sie hielt sich krampfhaft am Eisengeländer fest und bewegte ihren schwerfalligen Körper keuchend Stufe für Stufe hinunter. Als sie den Bürgersteig erreichte, hatte sie Pudding in den Beinen. Kleine und scharfe Flocken fielen in der windstillen Luft lautlos zur Erde. Im Laufe des Abends war es bedeutend kälter geworden, und sobald es nicht mehr schneite, würden die Temperaturen noch weiter sinken.
Der Neuschnee knarrte unter ihren Gummisohlen. Sie nahm ihren Tretschlitten und schob ihn auf knirschenden Kufen zur Hauptstraße.
Es tat gut, sich etwas zu bewegen. Sie vermisste die Beweglichkeit ihrer Jugend beinahe so sehr wie ihren Seelenfrieden. Die Schmerzen im Rücken verschlimmerten sich am Anfang des We ges immer, um dann schwächer zu werden und fast völlig zu verschwinden, ehe sie ihr Zuhause erreichte.
Ich sollte öfter spazieren gehen, dachte sie.
Die Eingangstreppe war von Schnee bedeckt, aber Margit Axelsson hatte kalte Beine bekommen und beschloss deshalb, es Thord zu überlassen, sie freizuschaufeln. Stattdessen bürstete sie ihre Schuhe mit dem Handfeger ab, schloss auf und trat in den Flur. Sie hatte einen Mordshunger, zog sich die Schuhe aus, hängte den Steppmantel auf, ging in die Küche und öffnete die Kühlschranktür.
Vor ihrem Aufbruch hatte sie sich ein Brot mit Eiern und Krabben gemacht, das sie nun mit zum Küchentisch nahm und so gierig aß, dass sie Majonäse in die Nase bekam. Ächzend und innerlich leer, saß sie anschließend da, starrte die Spüle an und merkte, wie müde sie war. Am nächsten Tag würde es ihre Aufgabe sein, die Vorschule aufzuschließen, sodass sie um halb sechs aufstehen musste, wenn sie rechtzeitig da sein wollte.
Ich muss ins Bett, dachte sie, ohne sich von der Stelle zu rühren.
Wie angenagelt saß sie in der dunklen Küche, bis das Telefon klingelte.
»Du bist noch auf? Du weißt doch, dass du ins Bett musst.« Sie lächelte, als sie die Stimme ihres Mannes hörte. »Ich war schon auf dem Weg«, log sie. »Wie ist es heute gelaufen?« Sie seufzte schwach.
»Dieses eine junge Mädchen kann gar nicht genug Aufmerksamkeit bekommen, sie fordert mir alles ab.« »Und was macht die Skulptur?« »Ich bin nicht weitergekommen.« Sie schwiegen kurz.
»Du hast nichts gehört?«, fragte Thord.
»Gehört?«
»Von ihnen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein.«
»Ich bin gegen zwei zu Hause. Warte nicht auf mich.« Sie lächelte wieder. »Ich wollte gerade …«
Sie legten auf, und sie ging langsam die Treppe in die obere Etage hinauf. Der Schatten einer verschneiten Birke huschte über die Wände, als auf der Straße ein Auto mit eingeschaltetem Fernlicht vorbeifuhr.
Sie konnte sich trotz allem glücklich schätzen. Ihre Töchter waren zu gesunden und zielstrebigen Individuen herangewachsen, zu guten Menschen, die die grundlegenden Werte akzeptiert hatten, die für die Entwicklung
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