Der Rote Wolf
vor ihr stand.
Sie kehrte dem Bild den Rücken zu, stand auf und schüttelte es ab, wie sie es mit den Alpträumen machte, die nach der Nacht im Tunnel zurückgekehrt waren: die Männer von Studio 6, die darüber diskutierten, was sie mit ihr machen sollten, Sven mit seinem blutigen Messer, ihre Katze, die mit herausquellenden Eingeweiden durch die Luft flog.
Und jetzt wurde sie von Thomas betrogen.
In diesem Moment lag er vermutlich mit der blonden Sophia Grenborg im Bett, vielleicht drang er gerade in sie ein, vielleicht küssten sie gerade die Geschlechtsteile des anderen oder lagen sich verschwitzt in den Armen.
Sie starrte die gelben Schatten an, stützte sich mit beiden Fußsohlen auf das Wohnzimmerparkett, den frisch abgeschliffenen Boden, den sie selbst drei Mal lackiert hatte, verschränkte die Arme vor der Brust und zwang sich, ganz ruhig zu atmen.
War sie bereit zu opfern, um ihr Leben intakt zu halten?
Sie hatte die Wahl, sie musste sich nur entscheiden.
Als sie dies erkannt hatte, war ihr augenblicklich leichter ums Herz, und sie ging zu ihrem Computer und ins Internet. In der Dunkelheit gab sie »sofia grenborg in Stockholm« ins staatliche Personen- und Adressenregister ein und bekam jede Menge Treffer.
Die Frau, mit der sie Thomas vor dem Kaufhaus gesehen hatte, war um die dreißig gewesen, vielleicht auch Ende zwanzig, mit Sicherheit jedoch nicht älter als fünfunddreißig. Annika schränkte das Alter nach oben ein.
Als Repräsentantin des Landtagsverbands in einer Projektgruppe zum Thema Bedrohung von Politikern konnte sie kaum jünger als fünfundzwanzig sein.
Annika nahm alle Personen heraus, die später als 1980 geboren waren, aber es kamen trotzdem noch zu viele Personen in Frage.
Statt auf diese Art weiterzusuchen, ging sie auf die Homepage des Landtagsverbands und suchte unter den Angestellten. Sie schrieb sich mit ph.
Darauf hätte sie verdammt noch mal selbst kommen können.
Sie ging wieder zurück und gab den Namen neu ein.
Sophia Grenborg. Es gab nur eine, 29 Jahre alt. Wohnhaft im Stadtteil Östermalm, geboren in der Kirchengemeinde Engelbrekt, mit anderen Worten, in einer der verdammt noch mal vornehmsten Wohngegenden Stockholms.
Sie druckte die Informationen aus, rief mit dem Ausdruck in der Hand bei der Landespolizei an und bat um eine Kopie des Passbilds der Person mit Sophia Grenborgs Personennummer.
»Das dauert etwa zehn Minuten«, meinte ein müder Polizeiassistent.
Lautlos überprüfte sie, ob die Kinder schliefen, und schlich in die Stockholmer Nacht hinaus.
Es hatte angefangen zu schneien. Nasse Flocken fielen aus einem schmutzig grauen Himmel auf ihr Gesicht, als sie nach oben schaute.
Sie eilte durch das Schneegestöber und hinterließ nasse Spuren auf dem Bürgersteig.
Die Einfahrt der Stockholmer Polizei lag in der Bergsgatan 52, nur etwa zweihundert Meter von ihrem Haus entfernt. Sie blieb bei den großen elektrisch gesicherten Eisentoren stehen, drückte den Knopf der Sprechanlage und wurde in den länglichen Käfig gelassen, der zum eigentlichen Eingang führte.
Das Foto war noch nicht gekommen, und sie wurde gebeten, Platz zu nehmen und ein paar Minuten zu warten.
Sie setzte sich auf einen der Stühle an der Wand, schluckte und versuchte, kein schlechtes Gefühl bei der Sache zu haben.
Alle Passfotos in Schweden waren nach wie vor öffentlich und konnten jederzeit angefordert werden. Es wurde zwar diskutiert, diese Möglichkeit einzuschränken, aber noch waren in dieser Frage keine Beschlüsse gefasst worden.
Ich muss keine Erklärung abgeben, dachte sie. Ich brauche keine Entschuldigung.
Kurze Zeit später wurde ihr der Umschlag überreicht, und sie konnte keine Sekunde länger warten, um nachzusehen, ob sie mit ihrer Vermutung Recht gehabt hatte. Sie kehrte den Polizisten nur den Rücken zu und zerrte die Polaroidaufnahme gleich heraus.
Sie war es.
Es gab nicht den geringsten Zweifel. Sophia Grenborg.
Ihr Mann bummelte durch die Stadt und küsste Sophia Grenborg. Sie stopfte das Foto in den Umschlag zurück und ging nach Hause zu ihren Kindern.
Margit Axelsson hatte ihr Leben lang an die inneren Kräfte des Menschen geglaubt. Sie lebte in der Gewissheit, dass jeder Mensch die Macht hatte, etwas zu verändern. Es kam einzig und allein auf den Willen und das Engagement an.
Als junge Frau hatte sie an die Weltrevolution geglaubt, daran, dass die Massen sich befreien und unter globalen Lobgesängen das Joch des Kapitalismus abschütteln
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