Der Rote Wolf
und musterte ihre Gesichtszüge mit besorgt gerunzelter Stirn.
»Es ist gut, wenn du noch einen Tag zu Hause bleibst«, sagte er. »Du bist leichenblass.«
Sie sah zu Boden und nahm seine Hände weg.
»Ich fühle mich ein wenig schlapp«, sagte sie und wollte die Küche verlassen.
»Ich habe Arnold versprochen, heute Abend endlich einmal noch ein Bier mit ihm trinken zu gehen«, rief er ihr hinterher.
Sie erstarrte auf der Türschwelle, blieb stehen, hörte ihr Herz pochen.
»Okay«, sagte sie und hatte sich wieder in der Gewalt, setzte einen Fuß vor den anderen und gelangte in den Flur, ging ins Schlafzimmer und sank aufs Bett. Sie hörte ihn die Sporttasche und seinen Schläger aus dem Flurschrank holen, ihr und den Kindern ein Tschüss zurufen, gefolgt von einer desinteressierten Antwort der beiden Kinder und ihrem eigenen Schweigen.
Hatte er ihr etwas angemerkt?
Hatte er ungewöhnlich reagiert?
Tatsächlich hatte sie sich im letzten Jahr oft ein wenig seltsam verhalten, aber heute Abend hatte er darauf nicht weiter reagiert.
Das Telefon klingelte, und sie ging ums Bett herum zu dem Apparat, der auf ihrem Nachttisch stand.
»Thomas hat gesagt, du bist krank«, sagte Arnold am anderen Ende der Leitung.
Er war der einzige von seinen alten Freunden, der sie akzeptiert hatte. »Geht es dir wieder besser?«
Annika schluckte und murmelte irgendetwas.
»Ich verstehe ja, dass er heute nicht zum Tennis kommen kann, wenn es dir so schlecht geht, aber das ist jetzt schon das zweite Mal hintereinander.«
Der Boden schien sich unter ihr in ein schwarzes Loch zu verwandeln, und sie stürzte hinein.
»Wenn er andauernd verhindert ist, werde ich mich wohl oder übel nach einem anderen Tennispartner umsehen müssen, ich hoffe, du bist mir deshalb nicht böse.«
»Kannst du damit nicht noch etwas warten?«, sagte Annika und kauerte sich auf dem Bett zusammen. »Euer gemeinsames Spielen bedeutet ihm wirklich viel.«
Arnold seufzte gereizt.
»Sicher«, meinte er, »aber Thomas weiß nie, was er will. Er kann sich einfach nie für etwas entscheiden und dann dazu stehen. Wenn man für den ganzen Herbst einen Platz gebucht hat, muss man ihn auch benutzen.«
Annika legte die Hand über die Augen.
»Ich werde es ihm ausrichten«, sagte sie und legte auf.
Es musste einige Zeit vergangen sein, denn plötzlich waren die Kinder bei ihr im Bett, eines auf jeder Seite von ihr, und sie sangen etwas, das ihr vage bekannt vorkam, sie summte mit, und im Hintergrund übernahmen die Engel die zweite Stimme.
Das sind meine Kinder, dachte sie. Er wird mir niemals die Kinder nehmen können.
»So«, sagte sie, »jetzt geht's ins Bett.«
Sie bekam sie dazu, schlafen zu gehen, indem sie ihnen mechanisch etwas vorlas. Anschließend deckte sie die beiden gut zu, küsste sie, machte eine Runde durch die Wohnung und schaltete alle Lampen aus. Anschließend kauerte sie sich in den Fenstersturz im Wohnzimmer und legte die Schläfe an die eiskalte Fensterscheibe. Luft zog unter dem undichten Rahmen herein, und sie lauschte dem unregelmäßigen Säuseln an der Fensterangel. Hinter ihr lag die dunkle Wohnung. Die schwankende Straßenlaterne draußen warf gelbe Schatten in den Raum, von der Straße aus gesehen war ihr Fenster nur ein schwarzes Loch.
Sie lauschte und versuchte die Atemzüge der Kinder zu hören, aber alles, was sie vernahm, waren ihre eigenen. Also hielt sie die Luft an, doch dann hörte sie nur ihr Herz schlagen und das Blut durch ihren Kopf rauschen.
Betrogen, dachte sie. Sven hat mich immer wieder betrogen.
Sie hatte es stets stumm geschluckt, dass er mit anderen Frauen schlief, und als sie ein einziges Mal gewagt hatte, dagegen aufzubegehren, hatte er ihr mit einer Kneifzange einen Schlag an den Kopf versetzt. Unwillkürlich tastete sie nach der schmalen Narbe auf ihrer Stirn, die mittlerweile kaum noch zu sehen war und an die sie nur selten dachte.
Sie war es gewohnt, betrogen zu werden.
Sie sah ihn vor sich, ihre erste Liebe, den Jugendfreund, Verlobten und Bandystar Sven Mattson, der sie über alles in der Welt liebte, Sven, der sie so vergötterte, dass ihr außer ihm niemand nahe kommen, am liebsten nicht einmal mit ihr sprechen durfte, und sie durfte an keinen anderen denken als an ihn, an nichts anderes denken als an ihn. Alles andere war strafbar, und er bestrafte sie, immer wieder hatte er sie bis zu jenem Tag bestraft, an dem er am Hochofen im Stahlwerk von Hälleforsnäs mit seinem Jagdmesser in der Hand
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