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Der Rote Wolf

Der Rote Wolf

Titel: Der Rote Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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schnitten schmale Risse in ihre Haut. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf den Horizont gerichtet. Von dort kam jemand auf sie zu, aber sie sah ihn noch nicht, spürte nur seine Gegenwart und blinzelte in den beißenden Wind.
    Und dann kam er, eine verschwommene graue Silhouette vor samtweichem Hintergrund, sein Mantel bewegte sich im Takt seiner Schritte, und sie erkannte ihn, es war einer der Moderatoren des Studio 6. Sie versuchte ihre Füße aus dem Eisblock zu lösen, der inzwischen zu Stein geworden war, und der Mann kam näher, und sie sah seine Hände und das Jagdmesser in seiner Hand, und es war Sven, es war Blut an dem Messer, und sie wusste, dass es Katzenblut war, er kam auf sie zu, und der Wind wehte, und sie blickte zu seinem Gesicht auf, und es war Thomas, und er blieb unmittelbar neben ihr stehen und sagte: Du warst an der Reihe, die Kinder abzuholen. Sie reckte sich und schaute ihm über die Schulter und sah Ellen und Kalle mit aufgeschlitzten Bäuchen und heraushängenden Eingeweiden an Fleischerhaken baumeln, die an einem Stahlbalken hingen.
    Annika starrte sekundenlang an die Decke, ohne zu begreifen, dass sie aufgewacht war. Ihr Herz pochte, es pfiff im linken Ohr, und die Decke war weggerutscht. Sie drehte den Kopf und sah, dass sich Thomas' Rücken in der Dunkelheit langsam in traumlosem Schlaf senkte und hob. Vorsichtig setzte sie sich auf und merkte, dass ihr der Nacken wehtat und sie im Schlaf geweint hatte. Die Engel waren still.
    Auf wackligen Beinen schlich sie durch Esszimmer und Flur zum Kinderzimmer, zu der lebendigen Wärme ihrer Kleinen.
    Ellen hatte sich den Daumen in den Mund gestopft, obwohl sie mit allen Mitteln versucht hatten, ihr dies abzugewöhnen. Annika nahm die kleine Hand, zog sacht den Daumen heraus und sah den Mund des Mädchens einen Moment danach suchen, ehe der Schlaf ihn vergaß. Sie betrachtete das schlummernde Kind, das sich weder seines Wertes noch seiner Schönheit bewusst war, und sehnte sich danach zurück, das Leben als so selbstverständlich zu empfinden, wie ihre Tochter dies noch tat. Dann streichelte sie Ellens weiche Haare und spürte die Wärme unter ihrer Hand.
    Mein kleines Mädchen, dir darf niemals etwas zustoßen.
    Anschließend ging sie zu dem Jungen, der in seinem Batman-Pyjama auf dem Rücken lag und die Hände über den Kopf gehoben hatte, wie sie selbst es als Kind auch immer getan hatte. Die blonden Haare und die breiten Schultern hatte Kalle von seinem Vater geerbt, er war beiden Elternteilen sehr ähnlich.
    Sie beugte sich zu ihm hinab und küsste ihn auf die Stirn, und das Kind schnappte nach Luft und blinzelte sie an.
    »Ist es schon Morgen?«
    »Bald«, flüsterte Annika. »Schlaf weiter.«
    »Ich hab was Böses geträumt«, sagte er und drehte sich auf die Seite.
    »Ich auch«, hauchte Annika und streichelte seinen Hinterkopf.
    Sie sah auf die leuchtenden Zeiger ihrer Armbanduhr. Der Wecker würde erst in einer knappen Stunde klingeln, aber sie wusste, dass sie nicht mehr würde einschlafen können. Von Rastlosigkeit getrieben, ging sie ins Wohnzimmer, wo sich die Gardinen im Luftzug von den Fenstern bauschten. Annika betrachtete durch den Spalt in der Mitte die langsam erwachende Hantverkargatan unter ihr, sah die gelbe Straßenlaterne, die verlassen wie eh und je zwischen den Häusern schaukelte, und wärmte erst die eine Fußsohle am Heizkörper, dann die andere. Anschließend ging sie in die Küche, zündete den Herd an und füllte den Wasserkessel, gab vier Löffel Kaffeepulver in die Kanne und blickte auf die steif gefrorene Steinwüste des Hinterhofs, während das Wasser auf dem Herd heiß
    wurde. Das Außenthermometer zeigte minus 22 Grad an. Sie goß das kochend heiße Wasser in die Kanne und rührte um, schaltete das Radio an und setzte sich mit einer Tasse an den Küchentisch. Das Dudeln des Radios vertrieb die Dämonen. Regungslos saß sie mit eiskalten Füßen am Tisch, während der Kaffee langsam abkühlte.
    Ohne dass sie ihn hätte kommen hören, betrat Thomas mit schlaftrunkenen Augen und wirr abstehenden Haaren die Küche.
    »Wieso bist du schon auf?«, fragte er, füllte ein Glas mit Wasser und trank mit gierigen Schlucken.
    Sie sah weg und starrte das Radio an, ohne ihm zu antworten.
    »Dann eben nicht«, sagte er und ging ins Schlafzimmer zurück.
    Sie legte die Hand auf die Augen und atmete mit offenem Mund, bis sich ihr Magen wieder beruhigt hatte und sie sich wieder rühren konnte. Dann kippte sie den Kaffee in den

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