Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rote Wolf

Der Rote Wolf

Titel: Der Rote Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
Vom Netzwerk:
einen Termin bei der Polizei, dann können wir uns unter vier Augen unterhalten.«
    Sie bekam die Adresse und eine Wegbeschreibung, und sie verabredeten sich für zwölf Uhr.
    Danach ließ sie den Hörer eine lange Minute auf der Gabel ruhen. Die Engel schwiegen. Die Schatten im Zimmer hüpften ruckend über die Wände, wenn auf der Straße Autos vorbeifuhren und Straßenlaternen im Wind schwankten.
    Jetzt kam alles darauf an, dem Chef vom Dienst die Sache richtig zu verkaufen.
    Sie rief in der Telefonzentrale an und hatte Glück, Jansson saß am Desk.
    »Verdammt, wie geht es dir?«, fragte er und blies Rauch in den Hörer.
    »Ich hab da eine Sache laufen«, sagte sie. »So eine richtige Human-Touch-Geschichte, ein armer Schlucker in einer Reihenhaussiedlung in der Nähe von Pitea, dessen Frau ermordet wurde, und jetzt glaubt das ganze Dorf, dass er es getan hat.«
    »Und?«, sagte Jansson, der nicht sonderlich begeistert klang.
    »Er kann es gar nicht gewesen sein«, erklärte Annika. »Zum Zeitpunkt der Tat war er sechzig Kilometer vom Tatort entfernt bei der Arbeit, und zwar zusammen mit drei Kollegen. Außerdem hat die Polizei einen Verdächtigen, aber für diesen Mann spielt das alles keine Rolle. Die Nachbarn haben gesehen, wie er am frühen Morgen in einem Streifenwagen zum Verhör gebracht wurde, und jetzt glauben alle zu wissen, was gelaufen ist. Die Lokalzeitungen haben geschrieben, man habe ihn verhört, aus Mangel an Beweisen jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt. In dem Dorf wird er bis ans Ende seiner Tage der Mörder seiner Frau bleiben.«
    »Hm, ich weiß nicht recht«, sagte Jansson.
    »Versetz dich doch mal in die schreckliche Situation dieses Mannes«, sagte Annika. »Er hat nicht nur seine geliebte Frau verloren, sondern auch noch jegliches Ansehen bei den Menschen, mit denen er ein Leben lang zusammengelebt hat. Wie soll er nur die Kraft finden, den Tod seiner Frau zu überwinden?«
    Sie verstummte und biss die Zähne zusammen, jetzt trug sie wirklich ganz schön dick auf.
    »Und der Typ ist bereit, mit dir darüber zu reden?«
    »Morgen Mittag. Kann ich ein Flugticket buchen?«
    Jansson seufzte.
    »Ja, ja«, sagte er. »Immerhin bist du freie Reporterin.« »Und bei der Geschichte geht es auch garantiert nicht um Terrorismus«, erklärte Annika.
    Der Chef vom Dienst lachte verlegen.
    »Hab schon gehört, dass Schyman dich gebremst hat«, meinte er.
    »Neuer Tag, neuer Bildeinschlag«, erwiderte Annika und legte auf.
    Anschließend rief sie das rund um die Uhr besetzte Reisebüro der Zeitung an, buchte einen Platz in der 9.40-Uhr-Maschine nach Kailax und einen Mietwagen, aber bitte nicht den kleinsten, vielen Dank.
    Sie hatte gerade aufgelegt, als die Wohnungstür aufgeschlossen wurde und die Kinder energiegeladen in die Wohnung stürzten. Schnell ging sie aus dem Internet, schaltete das Notebook aus und eilte in den Flur.
    »Mama! Weißt du, was? Wir haben Süßigkeiten bekommen, weil wir bei Oma und Opa so brav waren, denn wir haben gar nicht getobt, und Papa hat eine Zeitung mit nackten Tanten gekauft, und Opa tut das Herz wieder weh, und können wir in den Park gehen, bitte, bitte?«
    Sie umarmte beide, lachte und wiegte ihre erhitzten und duftenden Körper.
    »Natürlich«, sagte sie. »Habt ihr trockene Handschuhe an?« »Meine sind so unbequem«, sagte Ellen.
    »Wir suchen ein anderes Paar für dich heraus«, meinte Annika und öffnete den Schrank mit der Ananasfront.
    Thomas ging an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
    »Ich fahre morgen nach Lulea und bin den ganzen Tag weg«, sagte sie, während sie die Handschuhe über die gespreizten Finger des Mädchens zog. »Du musst die Kinder bringen und wieder abholen.«
    Er blieb mit hochgezogenen Schultern in der Tür zum Esszimmer stehen und sah aus, als würde er sich im nächsten Moment umdrehen und explodieren. Sie wartete auf den Knall, der jedoch nicht kam.
    Stattdessen ging er mit den Abendzeitungen und einer Illustrierten unter dem Arm ins Schlafzimmer und zog die Tür hinter sich zu.
    »Gehen wir jetzt, Mama?«
    »Und ob wir jetzt gehen«, sagte Annika, schnappte sich ihre Jacke, schob die Balkontür auf und holte den Schlitten, den sie dort abgestellt hatte.

MONTAG, 23. NOVEMBER
    Vor Annikas Augen breitete sich eine endlose weiße Landschaft aus, in der Schnee unter einem tiefblauen Himmelsgewölbe wirbelte. Sie war nackt, und ihre Füße waren in einem Eisblock festgefroren, schneidende Winde umwehten sie und

Weitere Kostenlose Bücher