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Der Rote Wolf

Der Rote Wolf

Titel: Der Rote Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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Eingang zeigten minus 28 Grad an.
    Ihr Wagen war ein silbergrauer Volvo, der mittels eines dicken Kabels an einer Steckdose hing. Ohne elektrische Motorheizung sprang in einer solchen Kälte kein Auto der Welt an.
    Sie zog die Polarjacke aus und warf sie auf den Rücksitz.
    Im Wageninneren war es stickig und warm, und ihr brach in ihrer Thermounterwäsche sofort der Schweiß aus. Der Motor sprang problemlos an, aber Servolenkung und Räder bewegten sich zunächst nur zögernd und träge.
    Sie passierte den Jagdbomber, der über der Einfahrt zum Fliegerhorst schwebte, fuhr zum Kreisverkehr, nahm dann jedoch die Ausfahrt Richtung Pitea, statt nach Lulea zu fahren. Unterwegs spähte sie zum Fenster hinaus, um zu sehen, ob sie die Gegend wiedererkannte, denn vor zehn Jahren war sie die Strecke einmal mit Anne Snapphane im Taxi gefahren.
    Die Heide verschwand hinter ihr, und sie fuhr durch eine Kulturlandschaft, in der längliche Bauernhäuser aus Holz am Waldrand thronten und Selbstvertrauen ausstrahlten. Erstaunt stellte sie fest, dass sie auf eine große Autobahn gelangte, an die sie sich nicht erinnern konnte, und wunderte sich immer mehr, je länger sie fuhr, ohne ein einziges anderes Fahrzeug auf der Straße zu erblicken.
    Erlaubte sich hier jemand einen Spaß mit ihr? War ihr die Wirklichkeit entglitten, und war dies die Straße zur Hölle?
    Die Autobahn wurde links und rechts von schmalen, nicht sehr hohen Nadelbäumen mit weiß gefrorenen Wipfeln gesäumt. Die Kälte ließ das schräg einfallende Sonnenlicht flimmern wie sonst nur bei großer Hitze. Sie umklammerte das Lenkrad etwas fester und beugte sich vor.
    Vielleicht verkehrte sich am Polarkreis ja die Perspektive. Rauf wurde hier eventuell zu runter, rechts lag links. Dann würde es unter Umständen auch logisch erscheinen können, vierspurige Autobahnen durch arktische Wälder zu bauen, in denen kein Mensch lebte.
    Nachdem sie sich zwei Mal verfahren hatte, gelangte sie schließlich ins Stadtzentrum von Pitea. Die Stadt war flach und stumm. Die Durchgangsstraße war drei Mal so breit wie der Sveavägen in Stockholm.
    Margit und Thord Axelssons Haus lag in Pitholm, dem Vorort, in dem auch Anne Snapphanes Eltern wohnten. Sie kreuzte vorsichtig auf gestreuten Straßen, bis sie endlich die Auffahrt fand, die Thord ihr beschrieben hatte. Das Haus war eines von zahlreichen verwirrend gleich aussehenden Wohnhäusern aus den siebziger Jahren, in denen die Vergabekriterien für staatliche Wohnungsbaukredite ungewollt einen vorher nie gekannten Häusertyp hervorgebracht hatten. Es war das Jahrzehnt der riesigen Spitzdächer gewesen.
    Sie parkte ihren Mietwagen hinter einem grünen Toyota Corolla, der haargenau so aussah wie das Auto von Thomas, stieg aus dem Volvo, zog ihre Jacke an und bildete sich für einen Schwindel erregenden Moment ein, sie selbst würde hier wohnen, Thomas würde im Haus auf sie warten, die Kinder studierten, und sie würde bei der
Norrlands-Tidningen
arbeiten. In der eiskalten Luft atmete sie möglichst flach und sah zum Dachfirst hinauf, der einen Schatten auf die Straße warf.
    Anne Snapphane war nur wenige hundert Meter von hier aufgewachsen und wäre eher gestorben, als zurückzugehen, aber hier herrschte Ruhe und Frieden.
    »Annika Bengtzon?«
    Ein Mann mit dichten stahlgrauen Haaren hatte die Tür einen Spaltbreit geöffnet und den Kopf hinausgestreckt.
    »Kommen Sie rein«, sagte er, »sonst erfrieren Sie noch.«
    Sie ging zur Eingangstreppe, trat den Schnee von den Füßen ab und gab dem Mann die Hand.
    »Thord?«
    Sein Blick war düster und intelligent, um seinen Mund lag ein traurig abwartender Zug.
    Annika betrat einen Flur, dessen Plastikboden ein dunkel grünes Medaillonmuster hatte, original anno 1976. Thord Axelsson nahm ihr die schwere Jacke ab und hängte sie an die Garderobe.
    »Ich habe uns Kaffee gemacht«, sagte er und führte sie in die Küche.
    Der Kieferntisch war mit geflochtenen Sets und geblümten Tassen auf Untersetzern gedeckt, ein Korb aus Birkenrinde war mit mindestens vier verschiedenen Plätzchensorten gefüllt.
    »Oh, das sieht aber lecker aus«, sagte Annika höflich, setzte sich und stellte ihre Tasche neben sich auf den Fußboden.
    »Margit backt gern«, erklärte Thord und starrte in seine Tasse. Dann biss er die Zähne zusammen und streckte sich nach der Thermoskanne.
    »Zucker oder Milch?«
    Annika schüttelte den Kopf, konnte auf einmal nicht mehr sprechen.
    Was gab ihr das Recht, in die Tragödien

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