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Der Rote Wolf

Der Rote Wolf

Titel: Der Rote Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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stehen und lauschte dem entfernten Grollen des Stahlwerks. Dann drehte sie sich wieder zu der Dachdeckerwerkstatt um und sah erneut den Kopf des Jungen in dem Mietshaus, diesmal in einem anderen Fenster.
    Wenn sie schon hier war, konnte sie dort auch mal anklopfen.
    Der Hof lag im Dunkeln, und sie leuchtete sich mit der Taschenlampe, um nicht über etwas zu stolpern. Es sah aus wie auf einem Schrottplatz, das Haus wirkte baufällig. Die Dachplatten aus Blech rosteten, die Farbe blätterte ab.
    Sie schaltete ihre Lampe aus, steckte sie in die Tasche und ging zu der einfachen Haustür hinauf. Sie führte in ein pechschwarzes Treppenhaus.
    »Was tun Sie hier?«
    Sie keuchte erschreckt auf und tastete schnell nach der Taschenlampe. Die Stimme war von rechts gekommen, ein Junge im Stimmbruch.
    »Ist da … jemand?«, fragte sie.
    Es klickte, und das Treppenhaus wurde von Licht durchflutet. Sie blinzelte verwirrt. Tabakbraune, holzverkleidete Wände überfielen sie, stürzten über ihr ein, das Dach wurde auf sie heruntergedrückt, sie hob schützend die Hände über den Kopf und schrie auf.
    »Was haben Sie denn? Beruhigen Sie sich.«
    Der Junge trug Wollsocken, war schlaksig und hatte weiche Gesichtszüge. Er presste sich an eine Tür mit dem Namensschild Gustafsson, seine Augen waren dunkel und wachsam.
    »Jesus«, sagte Annika. »Hast du mich erschreckt.«
    »Ich bin nicht Gottes Sohn«, erwiderte der Junge.
    »Wie bitte?«, fragte Annika, und plötzlich begannen die Engel zu singen,
Sommerwinter verlassene Sehnsucht.
»Haltet's Maul!«, schrie sie.
    »Ticken Sie nicht ganz richtig?«, fragte der junge Kerl.
    Sie riss sich zusammen und begegnete seinem Blick, der fragend und auch ein wenig ängstlich war. Die Stimmen verstummten, die Decke glitt zurück, die Wände pochten nicht mehr.
    »Manchmal bin ich ein wenig wirr«, sagte sie.
    »Warum schleichen Sie hier herum?«
    Sie holte ein zerknittertes Tempotaschentuch heraus und schnäuzte sich.
    »Ich »Ich heiße Annika Bengtzon und bin Journalistin«, sagte sie. »Ich bin hergekommen, um mir die Stelle anzusehen, an der mein Kollege gestorben ist.«
    Sie streckte die Hand zum Gruß aus, der Junge zögerte und ergriff sie dann linkisch.
    »Kannten Sie Benny?«, fragte er und zog seine schmalen Finger zurück.
    Annika schüttelte den Kopf.
    »Aber wir haben über die gleichen Themen geschrieben«, sagte sie. »Ich hätte ihn gestern treffen sollen.«
    Das Treppenhaus wurde wieder schwarz.
    »Dann sind Sie keine Polizistin?«, fragte der Junge.
    »Könntest du bitte das Licht anmachen?«, sagte Annika und hörte die Panik in ihrer Stimme.
    »Sie sind wirklich ein bisschen verrückt«, sagte der Junge, der jetzt ein wenig mutiger klang. »Oder haben Sie nur Angst im Dunkeln?«
    »Ich bin verrückt«, antwortete Annika. »Jetzt mach schon an.« Der Junge drückte auf einen Lichtschalter, und die 150-Watt-Birne ging für eine weitere Minute an.
    »Hör mal«, sagte Annika, »könnte ich mal bei euch auf Toilette?« Der Junge zögerte.
    »Ich kann doch nicht einfach irgendwelche verrückten Tanten reinlassen«, meinte er. »Das muss Ihnen doch klar sein.« Annika konnte ein verblüfftes Lachen nicht unterdrücken. »Okay«, sagte sie. »Dann werde ich wohl auf die Treppe pinkeln müssen.«
    Er verdrehte die Augen und öffnete die Wohnungstür mit der Hand, die auf der Klinke gelegen hatte.
    »Aber sagen Sie das bloß nicht meiner Mutter«, ermahnte er sie. »Ehrenwort«, sagte Annika.
    Im Badezimmer hing eine Vinyltapete aus den siebziger Jahren mit einem Muster aus stilisierten Sonnenblumen. Sie wusch sich Gesicht und Hände, strich sich über die Haare.
    »Kanntest du Benny?«, fragte sie, als sie wieder herauskam. Der Junge nickte.
    »Wie heißt du eigentlich?«, fragte Annika. Er sah zu Boden.
    »Linus«, antwortete er, und seine Stimme schaffte es, auf fünf Buchstaben Achterbahn zu fahren.
    »Linus«, sagte Annika, »weißt du, ob jemand hier im Haus gesehen hat, was mit Benny passiert ist?«
    Der Junge riss die Augen auf und wich zwei Schritte zurück.
    »Wie jetzt, sind Sie doch von der Polizei oder was?«
    »Hast du es an den Ohren?«, fragte Annika. »Ich bin von der Zeitung, genau wie Benny. Wir haben über die gleichen Sachen geschrieben. Die Polizei denkt, dass ihn jemand aus Versehen angefahren hat und dann abgehauen ist. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Weißt du, ob jemand hier vorletzte Nacht etwas gehört hat?«
    »Die Polizei ist auch schon da gewesen und

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