Der Rote Wolf
den Plastikficus in der Ecke, das Flipperspiel mit Star Wars Episode I und die angestoßenen Möbel aus lackiertem Holz und Chrom schweifen ließ.
Das hier ist Schweden, dachte sie. Die Innenstadt von Stockholm ist ein Naturschutzgebiet. Wir haben überhaupt keine Ahnung davon, was sich draußen in der richtigen Wildnis abspielt.
Als sie weiterfuhr, war ihr von dem Schmelzkäse und den rohen gelben Zwiebeln ein wenig übel. Staubtrockener Schnee wirbelte vor den Autoscheinwerfern auf und behinderte die Sicht, obwohl sie allein auf der Straße war. Sie war etwa einen Kilometer gefahren, als plötzlich direkt über ihr das Eisenhüttenwerk aufragte. Hell erleuchtete rußschwarze Stahlskelette, die Rauch ausstießen, als würden sie atmen – sie gab einen überraschten Laut von sich. Das Werk war so schön! So unglaublich … lebendig.
Eine Brücke führte sie über einen Bahnhof, auf dessen Gelände etwa zwanzig Gleise einander kreuzten, zu einem wurden und dann wieder auseinander liefen. Das musste die Endhaltestelle der Eisenerzbahn sein. Die Eingeweide der durchfurchten Erde in den Eisenerzgruben wurden von den unendlich langen Güterzügen mit Eisenerz hierher zur Küste gebracht.
Staunend fuhr sie bis zu einer beleuchteten Informationstafel an der großen Einfahrt zum Werksgelände und parkte neben einem Gebäude, das die Bezeichnung Westliche Wache trug.
Das kolossale Ungetüm, das sich unmittelbar vor ihr in den Himmel erhob, war Hochofen Zwei, ein murrender, donnernder Riese, in dessen Innern Eisenerz zu Stahl wurde. Etwas weiter entfernt standen Walzwerk, Stahlwerk, Kokserei, Kraftwerk. Über dem gesamten Organismus lag ein säuselndes, saugendes Geräusch, das an- und abschwoll, rauschte und sang.
Was für ein Ort, dachte sie, was für ein Schauspiel.
Sie schloss eine Weile die Augen, spürte die beißende Kälte. Die Engel schwiegen. Mittlerweile herrschte völlige Dunkelheit.
Anne Snapphane verließ die Pressekonferenz mit zitternden Knien und feuchten Handflächen. Sie wollte weinen oder vielleicht auch schreien. Die bohrenden Kopfschmerzen verstärkten ihre Wut auf den Geschäftsführer nur noch, der sich in die USA abgesetzt und ihr die ganze Präsentation überlassen hatte. Es war nun wirklich nicht ihre Aufgabe, für das Gesamtprodukt TV Scandinavia Rede und Antwort zu stehen, sie war nur für die Programmgestaltung verantwortlich.
Sie ging in ihr Büro, wählte Annikas Handynummer und sehnte sich nach einem Glas Wein.
»Ich stehe vor dem Eisenhüttenwerk in Svartöstaden«, rief Annika. »Das Ding ist ein Monster, total irre. Wie ist deine Pressekonferenz gelaufen?«
»Schlecht«, sagte Anne Snapphane matt und sah, dass ihre Hände zitterten. »Die haben mich in Stücke gerissen, und die Typen von deiner Eignerfamilie waren am schlimmsten.«
»Warte mal«, sagte Annika, »ich muss das Auto umparken, ich stehe einem Lastwagen im Weg. Ist okay! Ich komme ja! Bin schon weg!«
Die letzten Worte waren offensichtlich an jemand anders gerichtet.
Ein Motor wurde angelassen, und Anne suchte nach Schmerztabletten in ihrer Schreibtischschublade, aber die Schachtel war leer.
»Erzähl«, sagte Annika kurz darauf.
Anne Snapphane zwang ihre Hände zur Ruhe, legte die rechte Hand an die Stirn.
»Sie wollten mich partout in die Rolle des Buhmanns drängen, der alle superkapitalistischen, kriegshetzerischen, amerikanischen, multinationalen Ausbeuterunternehmen auf einmal verkörpert«, sagte sie.
»Die erste Regel der Dramaturgie«, meinte Annika, »man muss dem Schurken ein Gesicht geben. Deins eignet sich dafür ganz hervorragend. Obwohl ich es ein bisschen merkwürdig finde, dass sie so wütend sind.«
Anne schob die Schreibtischschublade wieder zu, stellte das Telefon auf den Boden und legte sich daneben.
»Das wundert mich eigentlich nicht«, sagte sie und starrte zur Deckenbeleuchtung hinauf. »Wir fordern die etablierten Sendeanstalten auf dem einzigen Werbemarkt heraus, den sie noch nicht erobert haben: dem globalen Markenwaren-Basar. Aber damit nicht genug, wir nehmen uns nicht nur ihr Geld, wir werden ihnen mit unseren durchkommerzialisierten Scheißprogrammen, die wir zu horrenden Preisen einkaufen müssen, auch noch ihre Zuschauer abspenstig machen.«
»Und am härtesten ist davon tatsächlich die Eignerfamilie des
Abendblatts
betroffen?«, fragte Annika.
»Ja, weil wir dann digital senden dürfen«, erläuterte Anne.
»Was machen die Kopfschmerzen?«
Anne schloss die Augen und sah
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