Der Rote Wolf
darüber sprechen, es ist nicht gut für dich, so ein Geheimnis für dich zu behalten.«
Er riss sich von ihrer Hand los und wich zur Wand zurück.
»Sie haben es versprochen!«, sagte er. »Sie haben gesagt, ich könnte anonym bleiben.«
Annika hob hilflos die Hände.
»Moment«, sagte sie. »Ich werde dich nicht verraten. Ich mache mir nur Sorgen um dich. Das ist so ziemlich das Schlimmste, was ich je gehört habe.«
Sie ließ die Hände sinken und stand auf.
»Für die Polizei ist es unheimlich wichtig zu erfahren, was du gesehen hast, aber das weißt du natürlich selbst. Du bist doch ein cleverer Junge. Bennys Tod war kein Unfall, und du allein hast das gesehen. Findest du etwa, der Mörder sollte einfach so davonkommen?«
Der Junge blickte erneut stur nach unten.
Auf einmal kam Annika ein Gedanke.
»Sag mal, hast du … hast du den Mann in dem Auto erkannt?« Der Junge zögerte, drehte seine Finger.
»Vielleicht«, hauchte er, sah sie plötzlich an und fragte: »Wie viel Uhr ist es?«
»Fünf vor sechs«, antwortete Annika. »Shit«, sagte er und fuhr hoch.
»Wie bitte?«, sagte Annika, als er an ihr vorbei in die Küche rauschte. »Willst du mir etwa sagen, dass du ihn unter Umständen erkannt hast …?«
»Ich bin mit Kochen dran und hab nicht mal angefangen.«
Dann trat er wieder in die Türöffnung.
»Mama kann jeden Moment nach Hause kommen«, sagte er gehetzt. »Hauen Sie ab. Sofort!«
Sie zog ihre Jacke an und trat einen Schritt auf ihn zu.
»Denk bitte darüber nach, was ich gesagt habe«, bat sie ihn, versuchte zu lächeln und verließ den Jungen mit dem Gefühl, völlig unzulänglich zu sein.
Thomas wurde immer gereizter, während er am Eingang zum Kindergarten eine Zahlenkombination nach der anderen ausprobierte. Erst gestern hatte er hier wie ein Idiot gestanden und war nicht hineingekommen.
»Weißt du den Türcode?«, fragte er seinen Sohn, der neben ihm stand.
Der Junge schüttelte den Kopf. »Mama drückt ihn sonst immer«, sagte er.
Sekunden später öffnete sich das Schloss von der Innenseite, und eine etwa vierzigjährige Frau mit zwei verrotzten Dreijährigen trat auf die Straße. Er murmelte einen dankbaren Gruß, hielt Kalle die Tür auf und betrat das Treppenhaus.
»Es hat Spaß gemacht, in den Kindergarten zu gehen«, sagte der Junge.
Thomas nickte zerstreut, sammelte sich. Sobald er in einen Kindergarten kam, fühlte er sich wie ein Alien, seine Jacke, seine Aktentasche und die glänzende Krawatte passten einfach nicht zu den bequemen Latschen und weiten Pullovern des Personals. Zwischen Ministiefeln und Minimöbeln war er ein tapsiger Riese, verschwitzt und völlig deplatziert. Und durch den Kontakt, den das Personal zu seinen Kindern hatte, durch die Art, wie sie miteinander sprachen, fühlte er sich ausgeschlossen. Er schaffte es einfach nicht, sich zehn Minuten über ein und dieselbe Zeichnung zu unterhalten, schon nach wenigen Sekunden wurde er unruhig, doch, Ellen, die ist richtig schön, ist das eine Miezekatze? Dann war er gleich wieder auf den Beinen, unterwegs zum nächsten Gedanken, zur nächsten Handlung.
Als er kam, schnitt seine Tochter gerade etwas aus und zeigte ihm enthusiastisch die Fische und Pflanzen, die sie in ihrem Meer gemacht hatte.
"Soll ich dir mit dem Schneeanzug helfen?«, bot er ihr an. Sie sah erstaunt zu ihm auf.
"Das kann ich doch schon allein«, sagte sie, räumte Schere und Papier weg und ging zum Kleiderregal. Eine kleine, aufrechte Person mit schmalen Beinen und schlenkernden Armen.
nahmen den Bus an der Fleminggatan, und noch ehe sie eingestiegen waren, erkannte Thomas, dass dies wahrscheinlich ein Fehler war.
»Ich will mit Eishockey anfangen«, sagte Kalle, während Thomas versuchte, einen Rentner daran zu hindern, Ellen mit seinem Rollator zu überfahren.
Der bloße Gedanke, seinen Sohn mehrmals in der Woche durch den innerstädtischen Verkehr zum Training fahren zu müssen, machte ihn schrecklich müde.
»Meinst du nicht, dass es dafür noch ein bisschen früh ist?«, sagte er ausweichend.
»William hat jetzt bei Djurgärden angefangen. Die haben gesagt, er wäre fast schon zu alt.«
Oh, mein Gott, dachte Thomas.
»Hier, Kleines«, sagte er, »setz dich hin. Wir sind bald zu Hause.«
»Ich schwitzle«, sagte das Mädchen.
»Das heißt schwitze«, meinte der Junge verächtlich. »Dass du das nie lernst.«
»Ruhig, Kinder«, sagte Thomas.
Sie brauchten eine Viertelstunde für den halben Kilometer zu ihrer
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