Der Rote Wolf
Zusammenhangs zu sein ist doch das Wichtigste, was es gibt, eine Funktion zu haben, die größer ist als man selbst. Warum lassen sich Menschen denn in Sekten oder andere wahnsinnige Gruppen hineinziehen, die üben einfach eine unglaubliche Anziehung aus.«
»Sekten mag ich auch nicht«, sagte Anne und leerte ihr Glas.
Sie verstummten. Annika ließ sich wieder gegen die Rückenlehne fallen.
»Wie sind denn die Reaktionen auf die Pressekonferenz gewesen?«, fragte sie, um das frostige Schweigen zu brechen, und schob die Kekse von sich weg.
Anne stellte ihr Glas auf den Beistelltisch und presste die Fingerspitzen an den Kopf.
»Dem Vorstand in New York ist die Kritik hier vor Ort, wie sie es nennen, vollkommen egal, also habe ich beschlossen, es genauso zu sehen. Die Kollegen sollen ruhig bellen wie eine ganze Hundemeute, aber sie werden uns nicht zum Schweigen bringen.«
Ein Bild von Svartöstaden füllte den Bildschirm hinter dem Nachrichtensprecher, und Annika stellte den Ton wieder lauter.
»Die Polizei hat mittlerweile bestätigt, dass der Journalist Benny Ekland einem Mord zum Opfer gefallen ist. Tatwaffe war ein gestohlener Volvo vom Modell V70.«
»Das ist ja nichts Neues«, sagte Annika und stellte leiser.
»Er wurde mit einem Volvo ermordet?«, fragte Anne und hörte auf, ihre Schläfen zu massieren.
»Hast du meinen Artikel nicht gelesen?«
Anne lächelte flüchtig.
»Es ist einfach so viel los im Moment …«
»Ich begreife gar nicht, warum sich alle derart über deinen Sender aufregen«, sagte Annika. »Warum kann die Eignerfamilie denn nicht einfach auch digital senden?«
»Das könnten sie schon«, sagte Anne und hob das leere Glas, »aber dummerweise haben sie bereits mehrere Milliarden Kronen in Satelliten und eigene Kabelnetze und Pay-TV-Programme investiert. Wir sind eine Bedrohung für ihr ganzes Unternehmen. Sie werden alles tun, was in ihrer Macht steht, um uns fertig zu machen.«
Annika schüttelte den Kopf, stand auf und ging Richtung Küche.
»Möchtest du ein Glas Wasser?«
»Nein danke, ich nehm mir noch etwas Wein«, rief Anne ihr hinterher.
Der Flur war dunkel und voll leiser Geräusche. In der Küche glomm die indirekte Beleuchtung der Abzugshaube wie ein fernes Feuer.
Sie füllte zwei große Gläser mit Wasser, obwohl Anne keins haben wollte.
Als Annika zurückkehrte, fand sie ihre Freundin mit dem leeren Weinglas in der Hand auf der Couch vor. Durch den Alkohol hatten sich Annes Gesichtszüge entspannt.
»Ich glaube, du irrst dich«, sagte Annika und stellte die Gläser zwischen ihnen auf den Tisch. »Die Eignerfamilie ist immer bekannt dafür gewesen, dass sie sich für die Meinungsfreiheit in diesem Land einsetzt. Immerhin hat sie sich in den vergangenen hundert Jahren mit publizistischen Fragen beschäftigt.«
»Und du meinst, das haben sie getan, weil sie so gute Menschen sind?«, sagte Anne und lallte dabei ein wenig. »Sie sind steinreich geworden, oder etwa nicht?
Und die Familie wird mit jedem Jahr größer. Glaub mir, sie brauchen die Einnahmen aus ihren Fernsehinvestitionen.«
»Aber sie haben doch noch so viele andere Unternehmen«, wandte Annika ein.
»Wieso denkst du, dass ihnen ausgerechnet die Fernsehsender so wichtig sind?«
»Na, dann schau dir doch ihre Verlage an«, sagte Anne. »Sie veröffentlichen Tausende von Büchern, die niemals in den Bestsellerlisten auftauchen. All ihre Zeitungen außer dem
Abendblatt
machen riesige Verluste. Die Rundfunksender müssen verkauft oder geschlossen werden.«
Ihr Blick wurde zu dem stummen Fernseher gezogen. Annika folgte ihm und sah plötzlich die breite, dunkelhaarige Gestalt der Kultusministerin auf dem Bildschirm und stellte den Ton wieder an.
»Ab dem 1. Juli werden alle Gemeinden mindestens eine öffentliche Bibliothek haben müssen«, erklärte Kultusministerin Karina Björnlund mit flackerndem Blick. »Das neue Bibliotheksgesetz ist ein großer Schritt in Richtung Gleichheit.«
Sie nickte nachdrücklich in die Kamera, während der unsichtbare Reporter offensichtlich auf eine Fortsetzung wartete. Karina Björnlund räusperte sich, lehnte sich zum Mikrofon vor und sagte: »Ein Fortschritt für das Wissen, die Gleichheit, die Chancengleichheit.«
Der Reporter zog das Mikrofon zu sich heran und sagte: »Aber ist das nicht ein allzu großer Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung?«
Das Mikrofon kam wieder ins Bild, Karina Björnlund biss sich auf die Lippe.
»Nun ja«, sagte sie, »das ist
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