Der Rote Wolf
Ferne.
Mehmets neue Frau, seine Verlobte, seine Zukünftige, die Frau, die sein Kind erwartete, stand vor ihr und sah verwirrt und ziemlich verängstigt aus.
»Ich … ich wollte Miranda abholen, aber sie meinte, dass Sie …«
»Es ist meine Woche«, sagte Anne und begriff nicht, warum ihre Stimme so seltsam fern klang. »Warum sind Sie hier?«
Sylvia, die schwangere Verlobte, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, und Anne sah, wie sinnlich sie waren. Diese Frau war schön, Sylvia war viel schöner als sie selbst. Eifersucht und Missgunst vernebelten ihren Blick, sie war außer sich vor Wut, fühlte sich gedemütigt und erkannte im nächsten Moment schon, dass sie geschlagen war. Aber wenn sie zeigte, wie sehr sie am Boden zerstört war, dann war sie es auch. Sie musste sich Respekt verschaffen.
»Ich muss mich vertan haben«, sagte Sylvia. »Ich dachte, ich sollte sie heute abholen. Ich dachte, es wäre mein Tag.«
»Fangen Sie eigentlich all Ihre Sätze mit
ich
an?«, sagte Anne und konnte sich jetzt auch wieder bewegen. Ihre Beine manövrierten von ganz allein an Sylvia, der schönen, schwangeren Verlobten, vorbei und in die Küche und zu dem freudigen Aufschrei »Mama!«.
Miranda flog ihr mit einem Apfel in der Hand in die Arme und bohrte ihren klebrigen Mund in die Haare ihrer Mutter.
»Spätzchen«, flüsterte Anne Snapphane. »Bist du heute nicht fast weggeweht worden?«
Das Mädchen lehnte sich zurück und verdrehte die Augen.
»Sie mussten mich festbinden«, sagte es. »Und dann bin ich wie ein Drache bis nach Lidingö geflogen.«
Anne lachte, und das Mädchen löste sich aus der Umarmung und ging an Sylvia vorbei, ohne von seiner künftigen Stiefmutter Notiz zu nehmen. Dann rief sie über die Schulter zurück:
»Können wir Eierpfannkuchen zu Abend essen? Darf ich die Eier aufschlagen?«
Anne ging zu Sylvia, die die Türöffnung blockierte.
»Sie entschuldigen?«, sagte sie gemessen.
»Mir ist so schlecht«, sagte Sylvia, und Tränen traten in ihre Augen. »Ich begreife nicht, wie ich mich so irren konnte. Entschuldigen Sie bitte. Es ist nur … mir ist im Moment fast immer schlecht. Ich muss mich dauernd übergeben.«
»Dann treiben Sie doch ab«, sagte Anne.
Die schöne Sylvia zuckte zusammen, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen, auf ihrem Gesicht erschienen hektische rote Flecken.
»Wie bitte?«, sagte sie.
Anne trat noch einen Schritt näher und atmete der anderen Frau direkt ins Gesicht.
»Wenn ich eins nicht leiden kann«, flüsterte Anne, »dann sind es verwöhnte Tussen, die wehleidig jammern. Soll ich Sie etwa noch bemitleiden?«
Die schwangere schöne Sylvia wich einen Schritt zurück, schlug mit dem Kopf gegen den Türrahmen und riss Mund und Augen auf.
Anne Snapphane ging an ihr vorbei zu ihrer patenten Tochter, die sich allein anzog und über verschiedene Pfannkuchenteige plapperte. Dann nahm sie Mirandas Hand und ließ den Kindergarten und Sylvias gekränktes Schweigen hinter sich zurück.
Annika briet Fischstäbchen und rührte Kartoffelpüree aus Instantpulver an, was sie nie tat, wenn Thomas zu Hause war. Thomas war liebevoll gekochte Hausmannskost gewöhnt, seine Mutter hatte immer viel Wert auf frische Lebensmittel gelegt, aber, mein Gott, was war daran schon bemerkenswert? Immerhin besaß die Familie ein Lebensmittelgeschäft. Es war ja nicht so, dass die liebe Schwiegermutter sich mit der harten Arbeit im Geschäft zu Tode geschuftet hätte. Sie war vielmehr hinuntergegangen und hatte sich genommen, was sie brauchte, ohne dafür zu bezahlen, und hatte sich ansonsten ein wenig um die Buchführung gekümmert.
Kein Wunder, dass diese Frau Zeit zum Kochen hatte.
Thomas hatte niemals selbst Kartoffeln geschält, und Fertiggerichte waren ihm gänzlich unbekannt, bis Annika ihm mit ihren Ravioli aus der Büchse auf den Leib rückte. Seine Kinder aßen das gepresste Fischfleisch und das Pulverpüree allerdings mit großem Appetit.
»Muss man das Rote aufessen?«, erkundigte sich Kalle.
Pflichtschuldigst hatte Annika auf ihren Tellern eine klein geschnittene Paprika verteilt, die beide Kinder unverzüglich diskret zur Seite geschoben hatten.
Sie konnte kaum stillsitzen, denn sie wusste, dass sie noch mindestens vier Stunden Arbeit vor sich hatte.
»Nein«, antwortete sie. »Ihr dürft gleich einen Film sehen, wenn ihr wollt.
Welchen sollen wir nehmen?«
»Hurra!«, rief Ellen, breitete die Arme aus und warf dabei ihren Teller auf den Fußboden.
Annika stand
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