Der Rote Wolf
Fernbedienungen für Fernseher und Videogerät fest an die Brust gepresst.
»Kalle«, sagte Annika, »du wirst Ellen eine abgeben.«
»Nein«, widersprach der Junge, »sie drückt bloß drauf rum und macht sie kaputt.«
»Okay«, sagte Annika, »dann nehme ich eben beide mit.«
»Nein«, heulte Ellen auf. »Ich will auch eine haben!«
»Jetzt reicht's mir aber!«, schrie Annika. »Her mit den verdammten Fernbedienungen, und dann seid ihr gefälligst leise und guckt, oder es geht sofort ins Bett!«
Sie riss die beiden Fernbedienungen an sich und kehrte mit Kalles Gezeter in den Ohren ins Schlafzimmer zurück.
»Das ist deine Schuld! Jetzt haben wir gar keine Fernbedienungen mehr! Blöde Kuh!«
Sie schloss die Tür hinter sich und meldete sich wieder am Telefon.
»Ragnwald«, sagte »Suup hat die Information zu mir durchsickern lassen, um Ragnwald davon zu unterrichten, dass man von seiner Rückkehr weiß«, erwiderte Annika. »Waren Sie an dieser Indiskretion beteiligt?«
Er lachte glucksend.
»Ich habe noch keinen Artikel gesehen.«
»Steht in der Zeitung von morgen, eine ziemlich dünne Geschichte, wenn Sie mich fragen. Suup hat nicht besonders viel ausgeplaudert. Ich glaube, dass Sie viel mehr in der Hand haben.«
Der Kommissar antwortete nicht.
»Wie viel wissen Sie?«, fragte Annika. »Kennen Sie seine Identität?«
»Zuerst müssen wir ein paar Dinge klären«, meinte »Sie können die anonymen Briefe bringen, aber nicht, dass sie aus Mao-Zitaten bestehen.«
Annika notierte sich seine Anweisungen.
»Und Ragnwald?«
»Wir sind uns sicher, dass er wieder hier ist.« »Warum ist er zurückgekommen?
Um diese Menschen zu ermorden?«
»Er hat sich mehr als dreißig Jahre fern gehalten, also muss er verdammt gute Gründe dafür haben, wieder in der Heimat aufzutauchen. Welche das sind, wissen wir nicht.«
»Ist er der Mao-Mörder?«
»Tolles Wort für eine Schlagzeile, nur schade, dass Sie es nicht benutzen dürfen.
Ich weiß nicht, ob er es ist. Möglich wäre es, aber meine Hand würde ich dafür nicht ins Feuer legen.«
»Aber er hat damals das Flugzeug auf F21 in die Luft gejagt?«
»Zumindest ist er in irgendeiner Form in die Sache verwickelt gewesen, aber wir wissen nicht, ob er dabei war, als die Maschine hochging.«
»Wie ist sein richtiger Name?«
Kommissar Q_zögerte.
»Sie haben von mir einen Serienmörder bekommen«, sagte Annika. »Da werde ich doch wohl im Austausch von Ihnen einen Terroristen kriegen.«
»Sie dürfen diese Information aber nicht veröffentlichen«, erwiderte CX »Es ist uns dreißig Jahre lang gelungen, seinen Namen ge heim zu halten, und das muss jetzt noch eine Weile so bleiben. Was ich Ihnen jetzt sage, ist nur für Ihr höchst privates Archiv bestimmt. Keine Aktennotizen im Computer, keine losen Zettel im Büro.«
Annika schluckte, setzte sich mit ihrem Stift zurecht, das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie wollte gerade nach dem Grund für die Geheimhaltung fragen, als die Tür aufflog und Kalle ins Zimmer stürzte.
»Mama, sie nimmt mir Tiger ab! Du musst mit ihr schimpfen!«
Sie holte so viel Luft, dass es für einen kompletten Wutausbruch gereicht hätte, bekam einen hochroten Kopf und sah Kalle wutentbrannt an.
»Geh raus«, flüsterte sie. »Sofort!«
Der Junge sah sie erschrocken an, drehte sich um und ließ die Tür sperrangelweit offen stehen.
»Mama sagt, du sollst mir Tiger zurückgeben«, rief er. »Sofort!«
»Er heißt Göran Nilsson«, sagte CX »Sohn eines laestadianischen Priesters aus Sattajärvi in Norrbotten, geboren im Oktober 1948. Im Herbst 1967 ging er nach Uppsala, um dort Theologie zu studieren. Ein Jahr später kehrte er nach Lulea zurück und arbeitete bei der Domverwaltung, bis er am 18. November 1969
verschwand. Seither ist er nicht mehr unter seinem richtigen Namen aufgetaucht.«
Annika schrieb so schnell, dass ihr die Handgelenke wehtaten, und hoffte, ihr hektisches Gekritzel später noch entziffern zu können.
»Laestadianisch?«, fragte sie.
»Der Laestadianismus ist eine religiöse Bewegung im Norden Schwedens, die in gewissen Bereichen verdammt streng und konservativ ist. Schlichte Kleidung, kein Fernsehen, keine Verhütungsmittel.«
»Wissen Sie, warum er sich Ragnwald nennt?«
»Das war sein Deckname in den linken Splittergruppen in Lulea Ende der sechziger Jahre. Er behielt ihn als eine Art Künstlername, als er dann Profikiller wurde, aber seine ETA-Identität ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein
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