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Der Rote Wolf

Der Rote Wolf

Titel: Der Rote Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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sinnlosen Trost.
    Sommergruß Zuckerherzen ewige Treue.
    Es geht nicht. Ich will nicht mehr.
    Das Handy meldete sich in ihrer Tasche. Sie schloss die Augen, spürte seine Vibrationen und wartete, bis sie wieder aufhörten.
    Ich will kein Wort mehr von dieser Sache hören.
    In der Stille kam Stockholm um sie herum einfach zum Stehen, der Autolärm der großen Verkehrsadern versickerte, nasse Spukgestalten schlossen sich um Straßenlaternen und Neonreklamen, ihre Füße hoben von der Erde ab, und sie schwebte langsam über die Pflastersteine vor dem Eingang und den steif gefrorenen Rasen zur Tiefgarage hinab.
    »Annika!«
    Sie landete schwer auf der Erde, schnappte nach Luft und fand sich unmittelbar neben der quietschenden Eingangstür wieder. Der Wind zerrte an ihren Haaren.
    »Beeil dich, du wirst ja sonst klatschnass.«
    Thomas' alter grüner Toyota hatte neben der Verkehrsinsel an der Tiefgarage gehalten, sie schaute ihn erstaunt an, was machte er denn hier?
    Dann sah sie ihn winken, seine blonden Haare waren nass und klebten am Kopf, der Mantel war feucht, und sie lief auf ihn zu, direkt in seine lächelnden Augen, flog über Asphalt und vereiste Stellen, versank in seiner Umarmung.
    »Gut, dass du meine Nachricht noch bekommen hast«, sagte er, führte sie zur Beifahrerseite und sprach weiter, während er die Tür öffnete und ihr in den Wagen half. »Ich habe versucht, dich auf dem Handy zu erreichen, aber du bist nicht drangegangen, deshalb habe ich dem Hausmeister gesagt, dass ich dich abholen komme, ich musste eh den Wagen umparken, also war es kein großer Umweg. Außerdem habe ich was Leckeres eingekauft und dachte, wir könnten … aber was hast du denn? Geht es dir nicht gut?«
    Annika atmete flach.
    »Ich glaube, ich werde krank«, flüsterte sie.
    »Na, dann wollen wir dich lieber gleich ins Bett verfrachten, wenn wir nach Hause kommen, nicht wahr, Kinder?«
    Sie drehte sich um, sah ihre Kinder auf der Rückbank sitzen und lächelte matt.
    »Hallo, meine Lieblinge. Ich liebe euch.«

MITTWOCH, 18. NOVEMBER
    Der Mann ging mit schwebenden Schritten an der Rezeption des Campingplatzes vorbei. Er fühlte sich stark. Die Beine federten wie früher, seine Muskeln spannten und dehnten sich. Er füllte seine Lungen und bemerkte kaum das Stechen im Unterleib, als sich das Zwerchfell weitete. Die Luft war ihm so eigentümlich und undefinierbar vertraut hier oben, wie ein Lied, das man als Kind gesungen und dann vergessen hat, das plötzlich jedoch aus einem weit entfernten Radio erklingt. Scharf, kalt und abwartend, dachte er und blieb stehen.
    Er sah auf und blinzelte in den Himmel, aus dem die eine oder andere Schneeflocke durch die Luftschichten zur Erde taumelte. Er war an diesen Ort gereist, um heimzukehren und wieder mit seiner Familie vereint zu sein. Vom Land und seiner Landschaft hatte er sich nichts erwartet, dafür war er sich mehr als klar darüber, wie die Mühlen des Kapitalismus Kultur und Infrastruktur zermalmten. Deshalb traf ihn die Wiedersehensfreude jetzt so unvermittelt, die geduckten Häuser und schneeverwehten Straßen, die Präsenz des Himmels und die trostlose Verschlossenheit des Nadelwalds. Er hatte gewusst, dass der materielle Reichtum in seiner Abwesenheit weit gediehen war. Die Veränderungen verstärkten seine Geborgenheit sogar noch.
    Er war unterwegs zu der Straße, in der das Mädchen damals gewohnt hatte, in jenem baufälligen Arbeitermietshaus mit kaltem Wasser und einem Plumpsklo auf dem Hof, und er fragte sich, ob er richtig war, denn das war gar nicht so leicht festzustellen. Die Umgebung Karlsviks hatte sich zwar, wie befürchtet, verändert, jedoch auf eine Art und Weise, die ihm vollkommen unvorstellbar gewesen war.
    Auf der Heide hinter dem Dorf, wo im Sommer 1969 überall Blaubeeren wuchsen und er sich mit Karina gewälzt hatte, bis sie in einem Ameisenhaufen gelandet waren, stand nun eine weiß und hellblau gestrichene Blechbaracke, die protzig von sich behauptete, Nordeuropas größte Halle für Fußballturniere und Handelsmessen zu sein. Er brauchte nicht überzeugt zu werden.
    Am Fluss, wo sie einander in den Ruinen der Kaianlagen und des Holzhandels nachgelaufen waren, hatte man einen Vier-Sterne-Campingplatz mit dazugehöriger Ferienhaussiedlung angelegt. Dort hatte er sich eingemietet.
    In der rauen Winterluft glaubte er plötzlich, den Klang sprudelnden Flusswassers zu hören, das zum Bottnischen Meerbusen floss. In der Ferne am anderen Ufer sah er die Stadt.

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