Der Rote Wolf
bedurfte eines starken Führers, um den richtigen Weg zu finden. Gemeinsam hatten sie beschlossen, sich dafür einzusetzen, dass der Löwe der Freiheit schon bald auf dem gesamten unterdrückten schwarzen Kontinent brüllte und die Massen befreite.
Der Löwe der Freiheit hätte ihn vermutlich am meisten gebraucht, und dementsprechend war es ihm auch am schlechtesten ergangen.
Ich werde mich um dich kümmern, mein Sohn, dachte er und betrat seine kleine Wohnstatt.
Er setzte sich auf den Stuhl neben der Tür und zog sich mühsam die Schuhe aus.
Sein Zwerchfell schmerzte, und wenn er sich bückte, wurde ihm schlecht. Er stöhnte auf, lehnte sich gegen die Stuhllehne und schloss für einen Moment die Augen.
Seine zweite Tochter, der Bellende Hund, war in den sechziger Jahren ziemlich großmäulig und anstrengend gewesen, aber seither konnte so vieles passiert sein.
Es würde interessant werden, sie zu treffen, vielleicht war sie ja eine von denen, die sein Erbe wirklich verdienten.
Er ging zum Kleiderschrank und sah nach, ob der Seesack noch da war.
DONNERSTAG, 19. NOVEMBER
Die Wohnungstür fiel krachend ins Schloss, und in der Wohnung breitete sich Stille aus. Annika war wieder allein. Den Kopf ins Kissen gepresst und die Knie bis zum Kinn angezogen, lag sie im Bett. Eintönig und kraftlos summten im Hintergrund die Engel.
Heute musste sie wieder aufstehen, wenigstens um die Kinder abzuholen. Sie war so gut wie nie krank, und Thomas war es nicht gewohnt, die ganze Verantwortung für die Kleinen zu übernehmen, sie wegzubringen und abzuholen und zu kochen und ihnen etwas vorzulesen und sie ins Bett zu bringen. Er wurde gereizt, und sie bekam dann ein schlechtes Gewissen. Sie zog die Decke noch etwas höher.
Es gibt Schlimmeres, dachte sie, die Kinder könnten krank werden oder Thomas mich verlassen, die Zeitung könnte eingestellt werden, es könnte Krieg im Irak geben, all das ist schlimmer. Das hier ist gar nichts.
Aber es war eben doch etwas. Wo das Fundament für ihr berufliches Vertrauen gelegen hatte, klaffte nun ein tiefes Loch.
Sie hatte sich auf Schyman verlassen, an sein Urteilsvermögen geglaubt. Doch jetzt war etwas geschehen, entweder mit ihm oder mit ihr, vielleicht mit ihnen beiden. Vielleicht lag es aber auch an der Geschichte, vielleicht war sie einfach zu groß für sie.
Oder aber, sie war in dem Tunnel tatsächlich verrückt geworden.
Annika erkannte, dass dies eine realistische Alternative war.
Hatte sie die Fähigkeit verloren, Relevanz und Wahrscheinlichkeit zu beurteilen?
War sie dabei, den Kontakt zur Wirklichkeit zu verlieren?
Sie zog sich die Decke über den Kopf und dachte nach. Nein, die Geschichte war, wie sie war, und sie hatte Recht.
Es war etwas dran. Schyman mochte in der Vergangenheit richtig gelegen haben, aber diesmal irrte er sich.
Sie schlug die Daunendecke zur Seite und schnappte nach Luft. Dann lief sie nackt ins Badezimmer, pinkelte und putzte sich anschließend unter der Dusche die Zähne.
Ohne Thomas und die Kinder war die Wohnung öde und leer. Sie blieb auf der Türschwelle zur Küche stehen und sah sich das Frühstückschaos an, das sie hinterlassen hatten, doch sie nahm es nicht wirklich wahr. Stattdessen lauschte sie auf das Rauschen der Leere und die Geräusche, die sie sonst niemals hörte, wenn alle zu Hause waren und sie eine andere Rolle hatte als die eines Individuums. Wenn sie in etwas Größerem aufging, gelang es den kleinen und unbedeutenden Nuancen nicht, zu ihr vorzudringen. Wenn sie rundum verantwortlich war, drangen einzig und allein wütende Zurufe und die Forderung nach lebenserhaltenden Maßnahmen wie Essen und Klebeband und Wo ist Tiger an ihr Ohr.
Doch jetzt war sie nur ihr ureigenes krankgeschriebenes Ich, torpediert und abgeschrieben, eine verbrauchte Reporterin, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten war. Kleinigkeiten überwältigten sie und ließen sie mit stummer Verblüffung horchen.
Der Kühlschrank brummte dumpf und zuverlässig einen halben Ton tiefer als die Lüftung auf dem Dach des Nachbargebäudes. Von irgendwoher zogen Bratendünste in die Wohnung, wahrscheinlich aus einem Restaurant im gleichen Häuserblock, in dem Kochplatten und Bratflächen erhitzt und der Mittagstisch vorbereitet wurde. Die Busse an der Haltestelle in der Hantverkargatan brummten und quietschten, die Sirenen der Feuerwehr von der Wache am Kronobergspark entfernten sich und kamen wieder näher.
Plötzlich geriet sie in Panik.
Ich halte
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