Der Rote Wolf
solche Situation zu meistern. Bengtzon musste wesentlich fester an die Kandare genommen werden als früher, sowohl von ihm selbst als auch von den einzelnen Chefs vom Dienst.
Es ist so traurig, dachte er erneut. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der sie wie kein anderer den Dingen auf den Grund gegangen war.
Die Tür flog auf, und Herman Wennergren stiefelte, wie üblich ohne anzuklopfen, in sein Büro.
»Ein Glück, dass man sich ab und zu für Kriege entscheidet, die man auch gewinnen kann«, sagte der Aufsichtsratsvorsitzende ver bissen und ließ die Aktentasche auf die Besuchercouch fallen. »Kann man hier vielleicht einen Kaffee bekommen?«
Anders Schyman lehnte sich vor und bat seine Sekretärin über die Sprechanlage, ihnen zwei Tassen zu bringen. Anschließend stand er auf und ging mit geradem Rücken langsam zu der Sitzecke, in der sich Wennergren noch im Mantel niedergelassen hatte. Er war unsicher, was dieser plötzliche und unerwartete Besuch zu bedeuten hatte.
»Ein schlechter Tag auf dem Schlachtfeld?«, sagte er und setzte sich auf die andere Seite des Tisches.
Der Aufsichtsratsvorsitzende fingerte am Schloss seiner Aktentasche herum, ließ unwillkürlich und aufreizend die Fingernägel auf dem Metall klackern.
»Man verliert und man gewinnt«, sagte Wennergren. »Ich kann Ihnen jedenfalls die frohe Botschaft verkünden, dass ich auf Ihrer Flanke anscheinend gewinnen werde. Ich komme gerade von einer Sitzung des Wahlausschusses, bei der ich den Vorschlag unterbreitet habe, Sie zum Jahreswechsel den Vorsitz übernehmen zu lassen. Ihr Vorgänger war ja eine völlige Fehlbesetzung, und wir waren uns alle einig, ihn zu ersetzen, sodass mein Vorstoß auf erstaunlich geringen Widerstand stieß. Niemand hatte Einwände, weder die Publizisten noch die Direktoren.«
Wennergren schien darüber aufrichtig überrascht zu sein.
»Vielleicht waren Sie nur zu geschockt«, meinte Schyman, während seine Sekretärin mit einem Tablett den Raum betrat.
»Das glaube ich nicht«, sagte der Aufsichtsratsvorsitzende und griff sich einen Pfefferkuchen, noch ehe die Schüssel auf dem Tisch stand. »Der geschäftsführende Direktor nannte Sie einen Kollektiv-Kapitalisten. Was kann er damit gemeint haben?«
»Kommt ganz darauf an, ob sein Tonfall eher negativ oder positiv klang und welche Wertschätzung man mit einem solchen Begriff verbindet«, antwortete Schyman ausweichend.
Herman Wennergren nippte mit gespitzten Lippen und leicht abgespreiztem kleinem Finger an seiner Tasse.
»Es ist durchaus möglich, dass die anderen Bereiche ihre Streitkräfte zusammenziehen«, sagte er, nachdem er einen kleinen Schluck genommen hatte.
»Wir sollten lieber noch keine Champagnerkorken zur Feier des Sieges knallen lassen, aber ich denke, dass ich Sie als Vorsitzenden des Verbands der schwedischen Zeitungsverleger durchsetzen kann. Und wenn Sie es dann geworden sind, möchte ich Sie bitten, eine Frage aufzugreifen, die von größtem Gewicht für die Eignerfamilie der Zeitung ist.«
Anders Schymans Miene blieb vollkommen neutral, während er glasklar erkannte: Es wurde von ihm erwartet, dass er die Rolle einer Speerspitze der Eignerfamilie im angeblich unparteiischen und unpolitischen Verband der schwedischen Zeitungsverleger übernahm.
»Aha«, sagte Schyman mit ausdrucksloser Stimme. »Und um welche Frage geht es?«
Wennergren mampfte ein Sahnebonbon.
»TV Scandinavia«, sagte er und wischte sich Krümel aus den Mundwinkeln.
»Sollen wir dem amerikanischen Großkapital wirklich völlig diskussionslos Zugang zu unserer Medienlandschaft gewähren?«
Der andere Krieg, dachte Schyman, der, den er gerade verloren hat. Der alte Knochen ist wirklich aufrichtig besorgt.
»Ich finde eigentlich, es wird überall darüber diskutiert«, sagte Schyman und war sich nicht sicher, ob er über den Versuch, ihn als Marionette zu benutzen und für Lobbyarbeit einzuspannen, wütend werden oder ob er so tun sollte, als hätte er nichts bemerkt.
»Tatsächlich?«, sagte Herman Wennergren und wischte sich die Finger an der Leinenserviette ab. »Und wie viele Artikel hat das
Abendblatt
zu dieser Frage veröffentlicht?«
Anstatt etwas zu sagen, stand Anders Schyman auf, ging zu seinem Schreibtisch und setzte sich wieder.
Nie zuvor hatte die Eignerfamilie Druck auf ihn ausgeübt, wie er nut Fragen umgehen sollte, die ihre wirtschaftlichen Interessen be rührten. Ihm wurde auf einen Schlag klar, wie wichtig und problematisch die
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