Der rote Würfel
fassungslos. Auch mein Gesicht leuchtet! Alles an mir, was nicht von Kleidern bedeckt ist, schimmert hell wie der Vollmond, der drüben bei Las Vegas tief am Himmel hängt.
»Mit was für einer Art Strahlung basteln die denn hier herum?« murmele ich.
Aber darüber kann ich mir immer noch den Kopf zerbrechen.
Der Wissenschaftler ist ein Bleifußfanatiker. Er fährt mit hundertfünfzig Sachen nach Las Vegas, oder zumindest bis auf die Autobahn zehn Kilometer vor der Stadt. Ich trete den Bronco, um Schritt zu halten. Auf einer regierungseigenen Straße wird ihm wohl kein Bulle ein Strafmandat verpassen. Wir fahren geradewegs in die Stadt. Ich hoffe, er lebt in Las Vegas. Meine Hoffnung sinkt, als er direkt auf das Mirage Hotel zugeht. Wahrscheinlich geht es ihm nur um ein paar Stunden Zerstreuung.
Auf dem Parkplatz stelle ich meinen Wagen in der Nähe seines Autos und mache mich daran, ihm ins Innere zu folgen.
Und dann erst wird mir bewußt, was ich gerade anhabe.
Eine zerrissene Schutzweste und blutverschmierte Klamotten.
In Panik versetzt mich das aber nicht. Die Leute, denen ich den Bronco geklaut habe, sind auf Urlaub. Bestimmt haben sie irgendwo im Auto DamenAnziehsachen herumliegen. Und siehe da! Hinten finde ich eine Bluejeans – zwei Nummern zu groß – und ein schwarzes Micky-Maus-T-Shirt. Zum Glück hat das Wasser mir Blut und Glas aus den Haaren herausgewaschen, als ich im Lake Mead schlief. Ich gehe zu einer abgelegenen Ecke des Parkplatzes und ziehe mich rasch um.
Den Wissenschaftler finde ich wenig später drinnen im Mirage am Würfeltisch.
Er ist ein attraktiver Mann so um die fünfundvierzig, mit vollen, schwarzen Haaren und einem sinnlichen Mund. Sein Gesicht ist sonnengebräunt; die Falten darin stehen ihm gar nicht übel. Er wirkt wie ein Mann, der so manchen Sturm überstanden und mit erhobenem Haupt daraus hervorgegangen ist. Seine grauen Augen sind fest, sehr wach und wirken scharf. Den weißen Kittel hat er gegen ein gut geschnittenes Sakko eingetauscht. Als ich hereinkomme, hat er gerade ein Paar rote Würfel in der Hand, und für mich hat es den Anschein, als beschwöre er sie insgeheim, seinen Befehlen zu folgen, wie es so viele andere Spieler auch tun.
Er verliert sein Spiel und übergibt die Würfel einem anderen Spieler. Mir fällt auf, daß er eine Hundert-Dollar-Note vor sich liegen hatte. Nicht gerade ein Pappenstiel für einen Wissenschaftler, der auf der Gehaltsliste der Regierung steht. Ich bin erst recht platt, als er noch einmal hundert Dollar hinblättert. Und auch die verliert.
Ich beobachte den Mann eine Dreiviertelstunde lang. Er ist Stammgast; einer der Angestellten nennt ihn Mister Kane, ein anderer Andy. Andrew Kane, so heißt er wohl. Weil Andy ständig verliert, und zwar in beängstigendem Tempo, muß er, als sich alles Bargeld aus seinen Taschen verflüchtigt hat, einen Schuldschein unterschreiben, um weitere Chips zu bekommen. Aber auch diese schwarzen Schokoladentaler verdünnisieren sich im Handumdrehen, und sein Eifer verwandelt sich in Frustration. Ich habe mitgezählt. Zweitausend Dollar weg – einfach so. Er seufzt, verläßt den Tisch, genehmigt sich einen doppelten Scotch an der Bar und geht aus dem Casino.
Ich folge ihm bis nach Hause. Ein eher bescheidenes Anwesen.
Er geht hinein und macht sich bettfertig. Gerade als im Osten die Sonne aufgeht, macht er bei sich das Licht aus. Anscheinend hat er Nachtschicht. Oder der General hatte Andy eigens wegen Joel zu sich gerufen. Ob er in den nächsten Tagen auch zur Arbeit geht? Ich merke mir seine Adresse und fahre ins Mirage zurück. Wenn es Andys Lieblingsplatz ist, dann soll es auch meiner werden.
Ich habe weder Kreditkarten noch Geld oder Papiere bei mir. Nachdem die Frau an der Rezeption lange in meine wunderhübschen blauen Augen gestarrt hat, übergibt sie mir dennoch den Schlüssel für eine Luxussuite. Auf meinem Zimmer rufe ich sofort meinen Geschäftsführer in New York City an. Seine Stimme klingt nicht verändert: Bis zu ihm haben es die Leute von der Regierung noch nicht geschafft. Lange reden wir nicht. »Code Rot«, sage ich. »Lassen Sie das Paket ins Hotel Mirage nach Las Vegas bringen. Zimmer Zwei-Eins-DreiVier. Sofort.«
»Verstanden«, sagt er nur und legt auf.
Das Paket wird alles beinhalten, was ich für eine neue Existenz brauche: Paß, Führerschein, Bargeld und Kreditkarten. Innerhalb einer Stunde wird es hier an der Tür abgeliefert werden. Auch ein umfangreiches Schminkset wird darin
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