Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rote Würfel

Der rote Würfel

Titel: Der rote Würfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
Vom Netzwerk:
auf, schnappe mir die Schrotflinte und puste eine Ladung voll auf den mir nächstgelegenen Apache. Ich treffe die Rotorblätter, aber die Scheißkerle sind zäh. Der Militärhubschrauber legt sich heftig in die Kurve. Dann formieren sich beide wieder und hängen direkt hinter mir. Wie Hornissenzwillinge, die gemeinsam einen verletzten Schmetterling betrachten. Über die Schulter hinweg bemerke ich, wie einer der Piloten seinem Bordschützen zunickt. Der Mann greift an einen Schalter, ohne Zweifel an den Abschußmechanismus für die Raketen. Gerade als ich die Türe weit aufreiße, züngelt eine orangefarbene Flamme seitlich von der Apache auf mich zu. Meine Reflexe sind schnell, für menschliche Verhältnisse blitzartig, doch selbst ich kann einer Rakete nicht einfach davonlaufen. Ich bin kaum aus meinem Sitz heraus, als die Rakete einschlägt.
Mein Hubschrauber schmilzt in der Luft.
Die Wucht der Explosion schlägt wie eine eiserne Faust zu. Brennende Metallreste fressen sich mir über dem Haaransatz in den Schädel; wellenartig durchzuckt der Schmerz meinen ganzen Körper. Ich kippe hinab wie ein Helikopter ohne Seitenruder. Blut schießt mir über das Gesicht, und ich kann nichts mehr erkennen. Ich sehe auch das kalte Wasser des Sees nicht mehr, doch ich spüre es, als es mir gegen die gebrochenen Rippen schlägt. Das geschmolzene Schrapnell zittert in meinem Kopf, als ich in die dunkle Flüssigkeit tauche. Berstender Dampf läßt mir beinahe den Schädel zerspringen. Mir ist, als schraubte ich mich hinab in einen verlassenen Abgrund. Mein Bewußtsein flimmert. Der See hat keinen Boden, meine Seele ist endlos leer. Bevor ich die Besinnung verliere, wünsche ich mir nur noch, daß ich nicht ohne Krishnas Gnade sterbe. Wie schön wäre es, ihn auf der anderen Seite zu treffen – seine göttlich blauen Augen zu sehen. Gott vergebe mir, so sehr liebe ich ihn.
    2.
KAPITEL
    Als ich wieder zu mir komme, flackert ein fahles Licht über mein Gesicht. Kaum schlage ich die Augen auf, wird mir klar, daß die Suchscheinwerfer der Hubschrauber auf mich gerichtet sind. Nur daß sie oben in der Luft sind und ich tief unten im Wasser liege, mit dem Rücken auf dem Boden des Sees. Obwohl ich ohne Bewußtsein war, muß mein Gehirn die Order gegeben haben, den Atem anzuhalten. Keine Ahnung, wie lange ich schon hier bin. Mein Kopf brummt noch immer, der Schmerz ist aber erträglich. Die Leute im Hubschrauber können mich ganz offensichtlich nicht sehen.
    Wo Joel wohl steckt? Hat er entkommen können?
Mein linkes Bein ist unter dem Wrack meines Hubschraubers eingeklemmt. Gut so, andernfalls triebe ich nämlich jetzt an der Wasseroberfläche, womöglich mit jeder Menge Kugeln im Leib. Ich befreie mein Bein, drehe mich auf den Bauch und schwimme weg von den Lichtern, ohne zu wissen, ob ich so weiter auf den See hinaus oder ans Ufer komme. Bald muß ich Atem holen, aber noch nicht sofort. Ich halte es noch eine ganze Weile aus, bevor ich auftauchen muß. Sie können nicht jeden Quadratzentimeter des Sees absuchen. Ich werde davonkommen.
Doch wenn Joel nicht frei ist, fühle auch ich mich nicht frei.
Zehn Minuten später habe ich die Lichter schon weit hinter mir gelassen. Jetzt kann ich es wagen, aufzutauchen und einen Blick zu riskieren. Ich befinde mich ganz in der Mitte des Sees. Hinter mir am Ufer, wo mein Helikopter abgeschossen wurde, drehen die Militärhubschrauber nach wie vor ihre Kreise und richten ihre Scheinwerfer auf das Wasser. In Ufernähe stehen eine Reihe von Lastwagen, jede Menge Uniformierte, ein paar Bullen und einige Armeeangehörige. In ihrer Mitte steht Joel. Ein Dutzend Gewehre sind auf seinen Kopf gerichtet.
»Verdammt«, flüstere ich. »Er konnte wirklich nicht schwimmen.«
Ich kann nicht einfach hinhetzen und ihn retten. Das ist mir klar, und doch muß ich mich davon abhalten, es zu versuchen. Rasches Handeln entspricht meiner Natur. Auch nach all den Jahrhunderten ist Geduld nicht gerade eine meiner Tugenden. All die Jahre haben mir bloß Kummer eingebracht, sinniere ich, während ich auf dem schwarzen See treibe.
Sie bringen Joel in ein gepanzertes Fahrzeug. Männer am Ufer legen Taucheranzüge an. Sie sind hinter meiner Leiche her, sie wollen sie erst sehen und dann relaxen. Wenn ich Joel auf der Spur bleiben will, muß ich mich beeilen. Außerdem muß ich damit aufhören, Leute umzubringen. Wenn auch nur irgend etwas Seltsames geschieht, wird das meine Verfolger darauf bringen, daß ich noch immer lebe.

Weitere Kostenlose Bücher