Der rote Würfel
nicht erleben. Sie sind sich nur ihrer physischen Körperlichkeit bewußt. Was ich hier vorhabe, ist, deine Aura sichtbar zu machen und deinem Bewußtsein zu ermöglichen, sich in sie hinein auszuweiten, so daß dein spiritueller Körper in deine Aufmerksamkeit rückt und nicht dein physischer.«
»Gefällt dir denn mein physischer Körper nicht?« fragte ich. Ich flirtete oft mit ihm.
Er unterbrach sich und starrte auf mich herab. »Er ist sehr schön«, flüsterte er.
Er wies mich an, die Augen zu schließen. Er wollte nicht, daß ich mitbekam, in welcher Anordnung er die Kristalle und Magneten aufstellte. Natürlich warf ich trotzdem einen verstohlenen Blick darauf und sah, daß über meinem Kopf die Kristalle lagen und die Magnete schräg unter meinem Körper. Er baute eine Art Gitter auf, das unsichtbare Energie abgab. Währenddessen betete er. Ave Maria und Vaterunser. Diese Gebete haben mir immer gut gefallen. Aber sie haben mich natürlich auch an Raddha und Krishna erinnert.
Als Arturo soweit war, hieß er mich die Augen geschlossen zu halten und ganz normal durch die Nase zu atmen. Das Atmen sei wichtig, sagte er. Es sei eines der Geheimnisse, die Seele zu erforschen.
Während der ersten Minuten geschah nicht allzuviel. Dann aber spürte ich nach und nach Energie in meinem Körper aufsteigen, unten vom Rückgrat bis hoch in den Kopf. Gleichzeitig war mir, als erweitere sich mein Bewußtsein. Ich wurde so groß wie das Geheimzimmer. Ein seltsames Gefühl überkam mich, ein wohliger Zustand des Friedens. Es war, als ob ich schwebte. Mein Atem kam und ging, manchmal schnell, manchmal langsam. Ich hatte keine Kontrolle darüber und wollte auch keine ausüben. Zeit verging. Ganz wach war ich nicht, befand mich aber auch nicht im Schlaf. Es war ein mystisches Erlebnis.
Als Arturo wieder sprach, klang seine Stimme Kilometer entfernt. Er wollte, daß ich mich wieder aufrichtete, um aus meinem Zustand wieder herauszutreten. Ich mochte aber nicht, denn mir gefiel es dort, wo ich war. Schließlich nahm er mich beim Arm und brachte mich dazu, mich aufrecht hinzusetzen. So brach er den Bann. Ich öffnete die Augen und blickte ihn an.
»Warum hast du es aufhören lassen?« fragte ich.
Er war ins Schwitzen geraten. »Du kannst leicht zu viel Energie auf einmal bekommen.« Er starrte mich an, wirkte atemlos. »Du hast eine merkwürdige Aura.«
Ich lächelte. »Was ist denn so Besonderes daran?«
Er schüttelte nur den Kopf. »Sie ist gewaltig.«
Das Experiment, Bewußtsein zu verstärken, war spannend, aber ich sah nicht, wie diese Technik ihm helfen könnte, menschliches Blut in das Blut von Christus zu verwandeln. Ich fragte ihn lang und breit aus, doch wollte er keine weiteren Geheimnisse preisgeben. Als wir uns gute Nacht sagten, lag Furcht in seinen Augen; zugleich schien er absolut gebannt von mir. Er hatte erkannt, daß ich keine normale Frau war. Das war für mich auch in Ordnung und schien mir kein Schaden. Denn er würde nichts weiter von meinen besonderen Fähigkeiten mitbekommen.
Ein Irrtum.
Er sollte in der Folge alles über mich erfahren.
Vielleicht sogar mehr, als ich selbst über mich wußte.
Bei den Mönchen lebte ein Meßdiener namens Ralph. Mit seinen zwölf Jahren verfügte er bereits über einen ganz außergewöhnlichen Geist. Er war Arturos Lieblingsschüler. Die beiden unternahmen regelmäßig lange Spaziergänge in die Berge außerhalb von Florenz. Auch ich mochte Ralph gerne. Zu dritt veranstalteten wir oft Picknicks im Wald; ich brachte Ralph das Flötespielen bei, wofür er wirklich Talent besaß. Das Instrument war mir seit Jahr und Tag, an dem ich Krishna zum ersten Mal begegnete, sehr ans Herz gewachsen. Arturo seinerseits gefiel es, uns beim Musizieren zuzuhören. Manchmal jedoch ging es derart mit mir durch, daß ich eine Melodie voller Liebe, romantischem Zauber und versunkenen Träumen aufspielte. Dann wurde Arturo still und wirkte mitgenommen. Wie lange wir noch so keusch und tugendhaft würden bleiben können, wußte ich nicht. Was ich jedoch wußte, war, daß mein Alchemist uralte Sehnsüchte in mir wachrief. Was mochten das für Energien sein, die seine Kristalle beschworen?
Eines Tages – ich half gerade Ralph dabei, ein Loch im Dach des Klosters zu reparieren – fand der Junge mit einemmal Spaß daran, mich mit einem albernen Tanz auf der Dachziegelkante zu verblüffen. Ich warnte ihn, doch er hörte nicht auf mich. Er hatte einfach zu viel Spaß dabei. Das ist das Merkwürdige an
Weitere Kostenlose Bücher