Der rote Würfel
besaß einen merkwürdigen Gerechtigkeitssinn.
Doch Arturo war kein Narr. Er heilte keine Leprakranken mehr, obwohl noch Dutzende zu ihm an die Tür kamen und um Hilfe baten. Er setzte seine Experimente an ein paar Taubstummen fort, die geistig zurückgeblieben waren. Wie schrecklich war es, die Leprakranken abzuweisen! Diese eine Frau hatte ihnen so viel Hoffnung gemacht. Heutzutage sprechen die sogenannten Fachleute oft von der Tugend Hoffnung. In meinen Augen jedoch bringt die Hoffnung Kummer. Diejenigen sind doch die Zufriedensten auf der Welt, die nichts mehr erwarten und daher zu träumen aufgehört haben.
Und ich? Ich hatte davon geträumt, Arturos Geliebte zu sein, und kaum war er mein, war er auch schon unglücklich. O doch, er genoß es, mit mir zu schlafen und nahe bei mir zu sein. Doch danach kam er nie davon ab, es für Sünde zu halten. Wir hatten uns für unsere Affäre einen ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht. Er brach sein Zölibatsgelübde, unmittelbar bevor er seine Bestimmung erreicht hatte. Sollte Gott ihn nun also verfluchen oder segnen? Ich bat Arturo, sich wegen Gott keine Sorgen zu machen. Dem Burschen war ich ja schon einmal begegnet. Der tat, was er wollte und wann er es wollte, unabhängig davon, wie sehr die Menschen etwas wünschten. Ich erzählte Arturo viel von Krishna, und er hörte mir fasziniert zu. Und doch weinte er jedesmal, nachdem wir Sex miteinander gehabt hatten. Ich schlug ihm vor, zur Beichte zu gehen. Das lehnte er ab – er wollte nur mir beichten. Nur ich könne ihn verstehen, meinte er.
Aber ich verstand ihn nicht. Jedenfalls nicht das, was er vorhatte.
In dieser Phase begannen seine Visionen. Er hatte zwar schon zuvor welche gehabt, doch hatten sie mich nicht beunruhigt, jedenfalls zu Anfang nicht. Eine Vision hatte ihm auch die mechanische Anordnung seiner Transformationstechnik vermittelt, lange vor unserer ersten Begegnung. Aber nun wurden seine Visionen eigentümlich. Er machte sich daran, Modelle zu bauen. Und erst siebenhundert Jahre später erkannte ich, daß es sich dabei um DNS-Modelle handelte, um menschliche DNS, um die von Vampiren und um die noch einer anderen Form. Tatsache ist jedoch, daß Arturo einen schärferen Blick hatte als ich, wenn es darum ging, unsere Versuchskaninchen zu beobachten, die sich unter dem Einfluß meines Blutes auf dem Boden krümmten. Er begriff das spezielle Molekül, dessen Code den Körper definierte. Eine Vision führte ihm dieses Molekül vor Augen, und er beobachtete, wie es sich unter den Magneten und Kristallen, unter dem Kupfer und Blut veränderte. Er erkannte die Doppelspirale der normalen DNS. Er erkannte die zwölf geraden Stränge meiner DNS. Und er erkannte, wie die beiden miteinander verbunden werden konnten.
»Was wir brauchen, sind zwölf Spiralenstränge«, vertraute er mir an. »Dann haben wir unser perfektes Wesen.«
»Aber je mehr Leute, mit denen du Experimente machst, desto mehr Aufmerksamkeit weckst du doch auch«, protestierte ich. »Deine Kirche wird kein Verständnis dafür haben. Sie bringen dich dafür um.«
Grimmig nickte er. »Ja, ja, ich weiß schon. Ich kann aber auch nicht ständig mit abnormen Personen arbeiten. Um einen wirklichen Sprung hin zum perfekten Wesen zu machen, muß ich mit einem ganz normalen Menschen arbeiten.«
Ich spürte, was er vorhatte. »Du darfst nicht an dir selbst herumexperimentieren.«
Er wandte sich ab. »Wie wäre es mit Ralph?«
»Bitte nicht!« bat ich. »Wir lieben ihn doch so, wie er ist. Wir sollten ihn nicht verändern.«
Er hielt den Blick auf die Wand gerichtet. »Du hast ihn doch schon verändert, Sita.«
»Das war etwas anderes. Ich wußte doch, was ich tat. Ich hatte Erfahrung in dem Bereich. Ich heilte seine Wunden. Ich veränderte seinen Körper, aber nicht seine Seele.«
Er drehte sich mir zu. »Begreifst du denn nicht, daß ich ihm diese Chance geben will, gerade weil ich ihn so liebe wie dich? Wenn wir ihn von innen heraus verändern, sein Blut transformieren können, dann wird aus ihm ein Kind Christi.«
»Christus kannte keine Vampire«, warnte ich. »Diese beiden solltest du nicht in einen Topf werfen. Das ist Gotteslästerung – selbst für meinen Geschmack.«
Erregt fuhr er fort:«Woher willst du denn wissen, daß er keine kannte? Du bist ihm doch nie begegnet!«
Jetzt wurde ich wütend. »Red doch nicht wie ein Narr. Wenn du jemanden brauchst für deine Experimente, dann nimm mich. Das hast du doch auch versprochen, als wir die ganze Sache
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