Der rote Würfel
Jungen!« schrien sie. »Wir haben dich und den Priester mit ihm gesehen!«
Ich hätte sie allesamt töten können, alle fünfzig. Aber es hatte schon zu viele Tote gegeben in dieser Nacht. Ich ließ mich von ihnen zurück in die Stadt schleifen. Ihre flackernden Lichter brannten mir in den Augen. Sie warfen mich in ein Verlies in der Nähe der Stadtmitte, dort, wo die Hinrichtungen stattfanden, und höhnten, sie würden schon herausbekommen, wie dieses Scheusal hatte erschaffen werden können. Noch vor Sonnenaufgang würden sie an Arturos Türe hämmern, sich den Weg bahnen in seine unterirdische Geheimkammer und die nötigen Beweise sammeln, um sie den gefürchteten Inquisitoren vorzulegen. Es würde eine Gerichtsverhandlung und einen Richter geben. Das einzige Problem bestand darin, daß es nur eine denkbare Strafe gab.
Aber ich war eben Sita, ein Vampir mit unvergleichlicher Macht. Selbst die kalte Hand der Kirche konnte sich mir nicht um die Kehle legen, wenn ich es nicht zuließ. Aber Arturo? Zwar liebte ich ihn, doch vertrauen konnte ich ihm nicht. Wenn er am Leben blieb, würde er mit seinen Experimenten fortfahren. Das war unausweichlich, denn schließlich war er ja überzeugt davon, daß dies seine Bestimmung war. Er besaß noch genug von meinem Blut, um einen neuen Ralph zu erschaffen oder etwas noch Schlimmeres.
Wenig später warfen sie ihn in eine Zelle mir gegenüber. Ich bat ihn, mit mir zu sprechen, doch er lehnte ab. In einer Ecke zusammengekauert, starrte er immer nur die Wand an; sein Blick war leer, und er ließ sich nichts davon anmerken, was ihm gerade durch den Kopf ging. Sein Gott erschien nicht, um ihn zu retten. Das war mir vorbehalten.
Schließlich sagte ich gegen ihn aus.
Der Inquisitor ließ mich wissen, daß dies der einzige Weg für mich war, mit dem Leben davonzukommen. Selbst als sie mich mitten im Gerichtssaal anketteten und von Soldaten bewachen ließen, hätte ich mich befreien und sie allesamt vernichten können. Ganz schön verlockend für mich, mir den bösartig dreinschauenden Priester vorzunehmen und ihm die Kehle aufzuschlitzen, ihm, der die Untersuchungen durchführte wie ein hungriger Hund, der auf einem Schlachtfeld nach frischem Fleisch stöbert. Doch einen konnte ich nicht umbringen: Arturo. Aber ich konnte ihn auch nicht leben und seine Suche nach dem heiligen Blut Jesu Christi weiter betreiben lassen. Jesus war zwölf Jahrhunderte zuvor gestorben, und die Suche würde niemals enden. Es war paradox – die einzige Lösung war qualvoll. Ich konnte Arturo nicht aufhalten, also mußte ich dafür sorgen, daß ihn die anderen aufhielten.
»Jawohl«, schwor ich auf die Heilige Schrift. »Er hat das Scheusal geschaffen. Ich sah es mit eigenen Augen. Er veränderte diesen Jungen. Dann wollte er mich mit seiner Magie verführen. Vater, er ist ein Hexer, das ist unbestreitbar. Gott strafe mich, wenn ich die Unwahrheit spreche!«
Der alte Mönch aus dem Kloster sagte ebenfalls gegen Arturo aus, allerdings mußte der Inquisitor ihm die Worte erst auf der strappado herausziehen. Es brach dem Mönch das Herz, Arturo zu verurteilen. Doch er stand nicht alleine mit seiner Schuld. Arturo gestand gar nichts, ganz gleich, wie sehr sie ihn folterten. Zu stolz war er, zu edel waren in seinen Augen seine Beweggründe. Nach der Verhandlung gab es kein Gespräch und keine Begegnung mehr. An seiner Hinrichtung nahm ich nicht teil. Man sagte mir, sie hätten ihn auf den Scheiterhaufen geworfen.
Wie alle Hexen und Hexer.
9.
KAPITEL
Ich sitze am Kartentisch und bin dabei, mit Bluff einen texanischen Geldsack zum Passen zu bringen. Das Spiel dauert schon eine ganze Weile. Auf dem Tisch liegen einhunderttausend Dollar in bar und in Chips. Sein Blatt ist besser als meins. Yakshas Gedankenlese-Geschenk an mich hat sich immer stärker bei mir entwickelt: Ich sehe die Karten meines Gegenübers vor mir, als ob ich sie selbst in den Händen hielte. Er hat drei Asse und zwei Buben auf der Hand, einen Full House. Ich habe drei Sechsen – die Lieblingszahlen des Teufels. Das Gewinnblatt hat er.
Der Texaner trägt Cowboystiefel und einen übergroßen Hut. Der Qualm seiner dicken schwarzen Zigarre stört mich nicht. Er pafft eine stinkende Wolke zu mir herüber, um mich aus der Fassung zu bringen. Dafür habe ich nur ein Lächeln übrig. Ich ziehe mit seinem Einsatz gleich und erhöhe dann um weitere fünfzigtausend. Wir sind hier in einem luxuriös ausgestattenen Spielzimmer des Casinos, wo die
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