Der rote Würfel
Stimme wird leiser: »Das ist auf alle Fälle das, was du davon haben wirst.«
Eine Antwort auf meinen Gefühlsausbruch erwarte ich nicht, doch kaum eine Minute später geht der Bildschirm wieder an. Arturo sitzt allein an seinem Schreibtisch im Kontrollraum. Gleich um die Ecke sozusagen.
»Sita«, sagt er. »Non avevo mai pensato che ti avrei rivista.«
»Ich hätte nie gedacht, daß wir uns einmal wiedersehen.«
»Ich auch nicht«, murmele ich.
»Bist du okay?« fragt er, dabei mühelos von einer Sprache in die andere wechselnd. Wenn er sich bemüht, spricht er akzentfrei. Er muß schon lange in Amerika leben.
»Kein Käfig ist okay.« Nach einer Weile fahre ich fort. »Und du?«
Er spreizt die Hände. Mir kommt in Erinnerung, wie groß sie waren. Ich rufe mir viele Einzelheiten zurück: seine warmen, grauen Augen, seinen kräftigen Kiefer. Wieso habe ich ihn nicht wiedererkannt? Auf den ersten Blick mag es Gründe dafür geben. Er ist fünfundzwanzig Jahre älter als bei unserer letzten Begegnung im Mittelalter, doch sein Gesicht hat sich mehr verändert, als dies die zweieinhalb Jahrzehnte rechtfertigen. Wahrscheinlich deshalb, weil er in Wirklichkeit über siebenhundert Jahre alt ist.
Aber dies alles hätte mich nicht hinters Licht führen dürfen. Ich habe ihn aus zwei guten Gründen nicht erkannt: weil ich erstens sicher davon ausging, daß er unmöglich in unserer Zeit existieren konnte, und mir deshalb noch nicht einmal der Gedanke an ihn kam, und weil zweitens der Andy, an den ich mich heranmachte, nicht die Seele des Arturo besaß, den ich einst liebte. Den Mann, der jetzt gerade auf mich herabschaut, kenne ich kaum, und habe doch damals über Monate mit ihm geschlafen.
»Was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen?« gibt er zurück. »Du mußtest aufgehalten werden.«
Höhnisch erwidere ich: »Aufgehalten weswegen?«
»Wegen dieser brutalen Morde in Los Angeles. Mir war klar, daß du das warst.«
»Dir war klar, daß ich es nicht war! Dir war klar, daß das ein anderer Vampir war! Fang nicht unser erstes Gespräch nach siebenhundert Jahren gleich mit einer Lüge an. Du weißt ganz genau, daß ich nie jemand aus Spaß getötet habe.«
Mein Zorn läßt ihn einen Schritt zurückweichen. »Entschuldigung. Ich hätte wohl sagen sollen, ich wußte, daß du indirekt damit zu tun hattest.« Nach einer Weile fährt er fort: »Wer hat die Morde auf dem Gewissen?«
Eigentlich hatte ich beschlossen, so wenig wie nur möglich herauszurücken. Aber diese Information wird ihnen doch nicht weiterhelfen. Es geht hier einzig und allein um mein Blut.
»Ein durchgeknallter Vampir hat das Blutbad angerichtet. Eddie Fender. Das Sonderkommando von Los Angeles und das FBI haben alles versucht, um ihm das Handwerk zu legen. Aber ich war es schließlich, der dem Gemetzel ein Ende bereitet hat. Und was habe ich nun davon? Eine Auszeichnung? Von wegen: Die ganze Polizei ist mir auf den Fersen.«
»Du hast zwei Dutzend Polizeibeamte umgelegt.«
»Doch nur, weil sie mich umlegen wollten! Ich bin hier nicht der Bösewicht. Ihr seid es – du und der Dreckskerl, mit dem du dich zusammengetan hast.« Es dauert eine Weile, bis ich mich wieder beruhigt habe. »Warum arbeitest du mit diesen Leuten zusammen?«
»Ich kann ihnen helfen. Sie können mir helfen. Wir haben gemeinsame Interessen. Ist das nicht der Grund für die meisten Partnerschaften?«
»Ja, bei egoistischen Leuten. Aber dich habe ich gar nicht als Egoisten in Erinnerung. Warum arbeitest du für das Militär?«
»Das solltest du doch mittlerweile begriffen haben. Ich muß meine Experimente zu Ende bringen.«
Ein Lachen kommt mir über die Lippen. »Bist du etwa immer noch auf der Suche nach dem Blut Christi?«
»Das sagst du so, als sei es ein fruchtloses Vorhaben.«
»Ein gotteslästerliches. Du hast doch gesehen, was beim letztenmal dabei herausgekommen ist.«
»Ich habe einen Fehler gemacht, na und? Noch einmal werde ich diesen Fehler nicht machen.«
»Ach, so einfach ist das? Ein kleines Fehlerchen gemacht? Und was ist mit Ralph? Ich habe den Jungen geliebt. Du doch auch. Und dann hast du ihn zum Monster gemacht. Du hast mich gezwungen, ihn umzubringen. Weißt du überhaupt, was das für mich bedeutet hat?«
Arturo reagiert kühl. »Immerhin hast du hinterher gegen mich ausgesagt.«
»Jemand mußte dich aufhalten. Ich hatte nicht die Kraft, vielleicht auch nicht die Willensstärke, es auf eigene Faust zu schaffen.« Ich verstumme und fahre erst nach kurzem Zögern
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