Der rote Würfel
ich dich frei, das verspreche ich dir. Ich werde alles so arrangieren, daß du auf freien Fuß kommst.«
In meine Stimme mischt sich Traurigkeit: »Arturo, ich verstehe genau, wer du bist. Ich sehe genau, was aus dir geworden ist. Als junger Mann warst du der ideale Mensch: fromm, liebevoll und hochintelligent. Aber deine Intelligenz wurde an dem Tag vergiftet, als du mein Blut bekommen hast. Deinem Experiment zuliebe hast du sogar den Jungen geopfert, den du geliebt hast. Du hast auch uns beide geopfert, die Liebe, die wir füreinander empfanden. Du hast mich angelogen, und das tust du heute wieder. Deine Hingabe gilt gar nicht länger Christus – sie gilt einzig und allein dir. Ich habe meinen Gott auch belogen, aber ich liebe ihn trotzdem nach wie vor und bete darum, daß er mir meine Sünden vergeben möge. Ich liebe auch dich noch und bete, daß du deinen Leuten den Befehl gibst, uns laufenzulassen. Genau wegen dieser doppelten Liebe kann ich mich nicht ergeben. Du darfst mein Blut nicht bekommen.« Ich verstumme. Nach einer Weile füge ich hinzu: »Niemand darf das.«
Arturo kennt mich.
Er weiß, daß ich nicht bluffe, nicht, wenn es um Leben und Tod geht.
Der Zeitzünder steht auf dreizehn Minuten. Unglückszahl dreizehn.
Sein Gesichtsausdruck und seine Stimme lassen Resignation erkennen. «Ich kann dich nicht entkommen lassen,« sagt er leise.
Ich nicke. »Dann bleiben wir eben hier, bis die Bombe hochgeht.«
Joel blickt mich an. Ich schaue ihn schweigend an. Es gibt nichts mehr zu sagen.
Arturo steht da wie eine Statue. Der Mond scheint auf uns herab.
Zwölf. Elf. Zehn.
Zehn Minuten könnten immer noch ausreichen, der Explosion zu entkommen.
»Arturo, ti prego«, sage ich mit einmal. »Arturo, bitte – Sag doch wenigstens deinen Leuten Bescheid. Laß sie fliehen. Ich habe schon genug Blut an den Händen.«
»Die Explosion wird kein Blut mehr übriglassen«, erwidert er und richtet den Blick hoch zum Himmel. »Wir werden zu Staub zerfallen und vom Wind davongetragen werden.«
»Für dich und für mich in Ordnung. Wir haben lange genug gelebt. Aber die Leute hier sind doch fast alle noch jung. Sie haben Familie. Gib den Befehl – es werden trotzdem genug hierblieben, um mich und Joel an der Flucht zu hindern.«
Arturo seufzt und dreht sich ab. Er hebt die Arme und brüllt: »Einheit G und Einheit H: Ihr könnt gehen. Los, los! Hier geht gleich eine Atombombe hoch!«
Eine Riesenpanik entsteht. Ich gehe davon aus, daß jetzt noch mehr hier wegwollen, als nur die Einheiten G und H. Reifen quietschen. Das Eingangstor wird aufgestoßen. Die Fahrzeuge donnern hinaus und verschwinden. Mit hundertsechzig Sachen in der Stunde können sie immerhin noch zwanzig Kilometer zwischen sich und den Explosionsherd bringen. Das sollte reichen, um zu überleben. Aber etliche bleiben zurück, und die werden nicht überleben. Noch immer bewachen uns viel zu viele Männer. Wenn wir die Flucht versuchen, machen sie uns nieder. Lieber also die Sache beenden, wie sie gerade ist. Einfach stehenbleiben. Sich auflösen in einer alles verzehrenden Flamme.
Dann fällt mir etwas ein.
»Die Zelle, in der er steckt, könnte noch nicht einmal von einer Atombombe zerstört werden.« Aber sie werden uns auch dann abknallen, wenn wir Richtung Laborgebäude fliehen.
Zum erstenmal in meinem langen Leben sehe ich keinen Ausweg.
Die Zeit verstreicht.
Acht. Sieben. Sechs. Fünf.
»Ich weiß noch nicht einmal, ob der Sprengkopf wieder entschärft werden kann, wenn er erst einmal scharfgemacht worden ist«, murmele ich.
»Kann er nicht«, stammelt der General.
»Oh«, mache ich nur noch.
Dann plötzlich spüre ich etwas Merkwürdiges in mir. Es ist eine leise, aber anhaltende Schwingung. Der Mond steht direkt über uns. Seit wir aus der Höhle heraus sind, hat er uns angestrahlt. Was ich bei all dem, das um mich herum vorging, gar nicht mit bekommen habe, ist, daß der Mond meinen Körper regelrecht aufgeladen hat, seit wir im Freien stehen. Er hat ihn nahezu durchsichtig werden lassen. Ich komme mir vor wie aus Glas. Sehr interessant, finde ich, und dieses Mal mußte ich noch nicht einmal meine Kleider dafür ausziehen. Arturo ist es, der außer mir als erster erkennt, was geschieht. »Sita!« schreit er. »Was geht mit dir vor?«
Joel, der neben mir steht, keucht: »Ich kann durch dich hindurchsehen!«
Ich lasse den General los und schaue auf meine Hände. Durch die offenen Handflächen und durch die Finger hindurch kann ich den Boden sehen. Doch
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