Der Rubin der Oger
befreien, die von den Soldaten gefangen genommen wurden.«
»Warum sollte er das tun wollen?«, fragte Sabriel überrascht.
»Bei Prios, du weißt aber nicht viel«, antwortete Myrel vorwurfsvoll. »Die Elfen sind böse geworden, weil die Zwerge sie aus dem Land vertrieben haben, und sie mögen die Menschen nicht, weil sie ihnen nicht geholfen haben. Weil wir Menschen aber zu stark sind, haben die Elfen sich Unterstützung bei den Ogern geholt. Der, der hier war, war der Ogerkönig, und er versucht jetzt, den König der Elfen aus dem Gefängnis in Turmstein zu holen. Vater hat aber gesagt, dass sie den dicken Oger niemals nach Turmstein hineinlassen werden. Und ich brauche auch keine Angst zu haben. Turmstein ist die sicherste Stadt in ganz Nelbor. Alle Elfen und Oger der Welt zusammen schaffen es nicht, über die Mauern zu kommen. Die Soldaten würden sie alle töten.«
Myrel holte tief Luft und wollte noch mehr von dem erzählen, was sie gehört hatte, doch Sabriel unterbrach sie.
»Wann war das?«
Myrel rechnete mit den Fingern nach. »Vor vier Tagen. Jetzt habe ich aber genug Fragen beantwortet, nun musst du mir zeigen, wie ich mit dem Schwert kämpfen soll.«
Einen Augenblick herrschte Stille auf dem Heuboden.
»Du hast Recht, Kleine. Komm hoch zu mir, dann ich zeige dir, was man mit einer Klinge alles anstellen kann.«
»Prima, ich hole nur eben das Holzschwert, das Papa für mich gemacht hat. Warte einen Moment.«
»Nein, nein! Du brauchst das Schwert deines Vaters nicht. Ich habe natürlich für jeden meinen Schüler ein eigenes Schwert – ein richtiges Zauberschwert.«
Myrels Augen weiteten sich. »Wirklich?«
Das kleine Mädchen ließ seine Stoffpuppe fallen und rannte zur Leiter. Schnell hatte es die ersten Sprossen erklommen. Doch auf halber Höhe zögerte es.
»Warum zeigst du mir das Schwert nicht draußen? Dann kann Papa es auch sehen.«
»Das geht nicht, Kleine. Was ich dir zeigen will, ist ein Geheimnis.«
»Warum ist es ein Geheimnis?«
»Wenn alle zusehen, was ich dir beibringe, kann es eines Tages jeder. Und wenn es jeder kann, wirst du nie die größte Schwertkämpferin von allen werden.«
»Ach ja, da hast du natürlich Recht.«
Geschwind kletterte Myrel den Rest der Leiter hoch. Oben versperrte eine Reihe Heuballen den Zugang zum Zwischenboden. Als Myrel den Arm über den ersten Ballen legte, packte sie eine kalte, feuchte Hand.
»Myrel, wir sind so weit. Wo bleibt du?«
Der Vater des Mädchens tauchte plötzlich im Scheunentor auf. Myrel erschrak und zog ihre Hand zurück. Ein stechender Schmerz zog sich über ihren Handrücken. Mit einem Sprung hechtete sie von der Leiter und landete in einem Haufen Stroh.
»Papa, der Schwertkämpfer hat mir weh getan«, weinte sie und lief in die tröstenden Arme ihres Vaters.
»Du musst vorsichtig sein, Myrel. So ein alter Kater kann manchmal unberechenbar sein.«
»Es war nicht Teck, es war der Großmeister.«
»Mädchen, hör auf, die ganze Zeit in deinen Tagträumen zu verbringen«, ermahnte sie der Vater. »Lauf zum Wagen, Mutter verbindet deine Hand, und dann müssen wir los.«
Nachdem der Bauer das Scheunentor geschlossen hatte, ertönte der klagende Laut einer Katze. Wenig später tropfte Blut durch den morschen Heuboden ins Stroh.
35
Der neue König
»He, hört mich hier keiner? Ich bestehe darauf, als Kriegsgefangener behandelt zu werden. Ich will in meine Arrestzelle gebracht werden. Hallo, ist denn da niemand?«
Barrasch rüttelte an der Käfigtür und trat mit dem Fuß gegen die Gitterstäbe.
Leutnant Losan und seine Soldaten hatten die drei Gefangenen in den Innenhof der Garnison gebracht und dort in Käfigwagen gesperrt. Finnegan und Barrasch saßen zusammen in einem Wagen und Mogda in einem anderen. Seit Stunden nieselte es, und ein Blick zum Himmel versprach nur wenig Besserung. Seitdem die Soldaten sie zurückgelassen hatten, war der Hofplatz menschenleer.
»Schrei nicht so rum«, maulte Mogda. »Ich will schlafen, und das ist schwer genug bei diesem Wetter. Meine Sachen sind nass, und das Dörrfleisch ist mittlerweile aufgequollen und schmeckt nach Schuhsohle. Also, gib endlich Ruhe, sonst frag ich die Wachen, ob sie uns zusammen in einen Käfig stecken.«
»Und was dann?«, fragte Barrasch provozierend.
»Dann fülle ich meinen Proviantbeutel mit Hauptmann auf.«
Der Innenhof der Garnison war großzügig angelegt und gepflastert. Durch den starken Regen bildeten sich große Pfützen, die es kaum jemandem
Weitere Kostenlose Bücher