Der Rubin der Oger
Bäumen.
»Hier schwimmt etwas im Wasser«, berichtete Felton mit gedämpfter Stimme und griff nach der Brechstange. »Haltet mich fest.«
Jemand hinter ihm legte sich auf seine Waden, als er seinen Oberkörper weit in die Öffnung schob. Er zog das Eisen durchs Wasser, bis er etwas zu packen bekam, dann holte er es langsam an die Oberfläche. Verschwommen zeichneten sich die Umrisse eines Körpers ab. Lange schwarze Haare umspülten das Gesicht des Mannes wie Algen ein Riff. Seine dunkle Haut und die feinen Gesichtszüge ließen keinen Zweifel daran, dass es sich um einen der Angreifer handeln musste. Felton bekam einen Fetzen seines Umhanges zu packen und zog daran. Der Körper des Fremden war sehr leicht und außerdem unglaublich biegsam. Felton hatte ihn schon so weit angehoben, dass er unter die Taille fassen konnte, trotzdem hingen Füße und Kopf immer noch im Wasser. Er packte das Revers des Umhangs, um einen besseren Halt zu bekommen, und fischte mit der anderen Hand nach dem Ärmel des Toten. Ihre Hände berührten sich. Felton spürte die kalten, glitschigen Finger der Kreatur. Sein Griff umschloss das Handgelenk, dann zog er das Wesen aus seinem nassen Grab. Plötzlich schnellte der andere Arm der Kreatur aus dem Wasser und versuchte, ihn ebenfalls zu packen. Der Kopf hob sich, die kiemenartigen Auswüchse klappten nervös hin und her, und die Augenlider schoben sich ruckartig nach oben.
Mit einem Schrei des Entsetzens löste Felton seinen Griff und ließ das Wesen zurück in die Tiefe gleiten. Seine Mitgefangenen packten den zappelnden Lord an den Beinen. Gemeinsam zogen sie ihn aus dem Loch. Das Letzte, was sie von dem Wesen sahen, waren die kalten, bewegungslosen Augen, die ihnen aus der Tiefe entgegenstarrten. Felton riss sich von seinen Helfern los und krabbelte auf allen vieren davon, bis er keuchend zu Boden sank.
»Dämonische Ausgeburten!«, schrie er, um seine Angst in den Griff zu bekommen. »Was sind das für Geschöpfe, die an Land und im Wasser existieren können? Sie sind ebenso weit davon entfernt, Elfen zu sein, wie ich es bin.«
Der alte Soldat hatte sich mit einer losen Planke bewaffnet und kauerte in Angriffsstellung vor dem Loch in der Schankstube.
»Es ist verschwunden«, sagte er nach einer Weile. »Aber es ist sicherlich nicht das Einzige seiner Art dort unten. Sie beobachten jeden Winkel der Stadt, damit ihnen niemand entkommen kann. Sie werden uns so lange aushungern, bis nur noch die Stärksten von uns am Leben sind, und die machen sie dann zu ihren Sklaven. So ersparen sie sich die Mühe, entscheiden zu müssen, wen sie gebrauchen können und wen nicht.«
Felton sah den Alten an. Seine Ausführungen klangen nicht nach Mutmaßungen. Er wusste, wovon er sprach. Sein hohes Alter war untypisch für Soldaten des Königs, doch es gab eine Gruppierung innerhalb der Armee, die fast ausschließlich aus Veteranen bestand.
»Ihr seid Mitglied der Leibgarde des Königs«, stellte Lord Felton verblüfft fest. »Was ist passiert?«
Der Alte warf die Planke zu Boden.
»Ich war Mitglied der Königsgarde, und jetzt ist der König tot. Das ist passiert.«
»Ihr habt geschworen, ihn mit Eurem Leben zu beschützen. Der König liegt tot dort draußen, und Ihr steht hier. Könnt Ihr mir das erklären?«
Der Alte kam mit einem Lächeln im Gesicht auf Felton zu und hockte sich vor ihn hin. Blitzschnell zuckte sein Arm vor und legte sich um die Kehle des Lords. Mit der anderen Hand packte er Feltons Schwertarm und drehte ihn auf den Rücken. Die Kraft und routinierten Handgriffe des Mannes reichten aus, um den Lord hilflos zappeln zu lassen. Mühelos schleifte er Felton quer über den Fußboden zum Loch und ließ dessen Oberkörper über den Rand baumeln.
»Die Erklärung lauert dort unten. Wollt Ihr, dass ich sie Euch zeige?«, schrie er.
Felton hing kopfüber im Loch und bekam kaum Luft. Das Blut sammelte sich in seinem Kopf. Er spürte, wie seine Fußknöchel langsam aus dem Griff des Soldaten rutschten.
»Wulbart, hol ihn wieder hoch! Wenn ihm etwas zustößt, werden sie dich hängen, du Trottel! Er ist schließlich der Lord von Osberg. Du weißt, bei Adligen kennen sie kein Pardon. Sei vernünftig!«
Die Stimme kam vom Eingang. Felton ordnete sie einem der Soldaten zu, die sich an der Tür postiert hatten.
Er wurde wieder hochgezogen und unsanft auf den Boden fallengelassen. Er brauchte einige Augenblicke, um wieder zu Atem zu kommen. Wulbart stand plötzlich über ihm und blickte
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